Degenerative Parallelen zwischen Journalismus und Wissenschaft
Beide leiden darunter, daß die Korruption zu- und die Qualität abnimmt.
Die Süddeutsche fragt, wozu man eigentlich den Journalismus noch braucht, und analysiert den Qualitätsverfall. Statt Fakten werden nur noch Meinungen präsentiert. Das Internet fördert die Oberflächlichkeit. Zitat:
Schon 2007 konstatieren die beiden Onlinejournalisten Steffen Range und Roland Schweins in der sehr lesenswerten und noch immer aktuellen Studie „Klicks, Quoten, Reizwörter: Nachrichtensites im Internet. Wie das Web den Journalismus verändert“: „Krawall- und Sensationsjournalismus und seichte Unterhaltung haben die auf Seriosität bedachte unaufgeregte Berichterstattung in den Hintergrund gedrängt. Boulevard und Information sind im Netz ein Bündnis eingegangen.“ Und: „Der Gegensatz von Information ist nicht Unterhaltung, sondern Manipulation und Fälschung. Doch wenn selbst Nachrichten, Faktenwissen und Börsenkurse einem Primat der Unterhaltung unterworfen werden, befindet sich der Qualitäts-Journalismus alter Schule in ernster Gefahr.“
Und weiter: „Gemessen an den strengen Kriterien an Qualitäts-Journalismus, die Verleger und Chefredakteure selber aufgestellt haben, versagen die meisten ihrer Nachrichten-Sites. Kennzeichen des tatsächlich vorherrschenden Nachrichten-Journalismus sind Zweitverwertung, Agenturhörigkeit, Holzschnittartigkeit, Eindimensionalität und Einfallslosigkeit.“
[…]
Meinungen statt Fakten – eine Tendenz im Journalismus, die möglicherweise dadurch verstärkt wird, dass keine Zeit für die Recherche der Fakten bleibt. Eine Meinung hat Jede(r) und Recherche ist oft langwierig und zeitaufwändig. Eine weitere Entwicklung: Schnelligkeit wird mehr und mehr zum wichtigsten Qualitätsmerkmal im (Nachrichten-)Journalismus. “Be first, but first be right”, lautet ein alter Agenturspruch – häufig wird davon nur noch der erste Satzteil beherzigt, nicht nur, aber eben oft im Onlinejournalismus.
Das kann ich auch aus eigener Erfahrung bestätigen. Erst kürzlich hatte ich u.a. über einen Bericht in der Berliner Zeitung über die Professorin Claudia Eckert berichtet, wieder so eine der inzwischen häufig vorkommenden (und oft feministisch orientierten) personenlobhudeleien, wo man sich echt an den Kopf greifen muß, wenn man sie liest, weil die mit der Realität nichts zu tun haben und Leute als Experten und Macher gepusht werden, obwohl sie weit davon entfernt sind. Auf den Bockmist angesprochen schrieb mir die Autorin Kathrin Schrader:
„Als ich mich über Frau Professor Eckert erkundigte, rechnete ich nicht mit Vorwürfen der Kriminalität. Ich ahnte nicht, dass die Professoren ein Fall für eine investigative Recherche sein könnte. Mich interessierte ihr Werdegang, wie sie es als Frau geschafft hat, in dieser Männerdomäne so erfolgreich zu sein.”
Es wird also nicht recherchiert, sondern das Thema ist „Frau behauptet sich in Männerdomäne” und entsprechend fällt die Schreibe dazu aus. Was mich fatal an den Unterschied zwischen Wissenschaft und Kreationismus erinnert. Nicht das Ergebnis der Recherche wird präsentiert, sondern das Ziel vorgegeben. Von der Berliner Zeitung und von Kathrin Schrader habe ich übrigens nichts mehr gehört, seit ich ihnen vorgehalten habe, daß das Meinungsmache und nicht Berichterstattung sei. Ist aber heute durchaus gängig. Investigativer Journalismus ist nahezu ausgestorben, was auch mit den zunehmend schwierigeren finanziellen Situationen der Verlage und Redaktionen zusammenhängt. Die müssen immer schneller, immer billiger, immer oberflächlicher produzieren und sind immer stärker vom Wohlwollen von Sponsoren (Anzeigenkunden usw.) und Politik abhängig. Der Journalismus verkommt zum Meinungs-, Boulevard- und Lobbyjournalismus, zur Gefälligkeitsschreiberei. Und zur Zweitverwertung von vorgegebenen Mainstream-Meldungen.
Womit aber verblüffende Parallelen zur Wissenschaftsszene vorliegen. Da läuft es letztlich genauso. In dem Zusammenhang interessant zu lesen ist auch der Bericht über die Veränderungen im Medizinwesen.