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Professoren-Korruption in der Medizin

Hadmut Danisch
5.11.2009 22:33

Fundstellen zur Korruption in der Wissenschaft. (Auch an der LMU München)

Wie schon ausgiebig gebloggt, war ich am Wochenende auf einer ziemlich guten und interessanten Konferenz über die journalistische Aufdeckung von Korruption. Dazu gab es auch einige Vorträge von Buchautoren, die Einblicke gewährten, wie sie ihre Bücher recherchiert haben (und noch so das ein oder andere erzählten…). Natürlich habe ich mir die Bücher sofort bestellt.

Leider komme ich auf absehbare Zeit nicht dazu, sie zu lesen, ich habe zuviel auf der TODO-Liste. Aber zumindest ein paar Blicke habe ich reingeworfen, und es finden sich schon einige sehr interessante Stellen über Korruption in der Wissenschaft.

Markus Grill: Kranke Geschäfte

Hier wird ab Seite 138 die Zensur von Fachzeitschriften beschrieben. Zwei Professoren hatten mehrere Medikamente untersucht und waren zu dem Schluß gekommen, daß sie trotz erheblicher Preisunterschiede alle genau gleich gut wirken. Die Zeitschrift, in der der Aufsatz erscheinen sollte, wurde verzögert, und obwohl der Aufsatz sogar noch im Inhaltsverzeichnis stand, fehlte er. An seiner Stelle fand sich Werbung. Unter anderem wegen Interessenkonflikten, wie der Verlag sagte – man fürchtete um das Anzeigengeschäft. Da haben die Hersteller der teureren Präparate, die durch solche Forschungsergebnisse Umsätze verloren hätten, offenbar massiven Druck ausgeübt (oder zumindest mußte der Verlag das befürchten).

Was sich bisher liest wie der alltägliche Korruptionswahnsinn, hat erheblich mehr Tiefe. Denn laut Buch waren die beiden Hersteller AstraZeneca und Altana. Altana befindet sich mehrheitlich im Besitz der Familie Quandt (so ganz sind mir die Anteile aus der Presse nicht ganz klar geworden, aber Haupteigentümer ist wohl Susanne Klatten, geb. Quandt). Zwei der Familienmitglieder sitzen in Hochschulräten und können damit erhebichen Einfluss ausüben – Susanne Klatten an der TU München, Stefan Quandt in Karlsruhe. Beispielsweise hat Stefan Quandt maßgeblich an der Wahl des Rektors Hippler an der Uni Karlsruhe mitgewirkt – und das lief meiner Auffassung nach gar nicht sauber. Wenn man nun so liest, wie ein Verlag da einen wissenschaftlichen Aufsatz zurückzieht, weil er für diese beiden Firmen nachteilig wäre – dann bekommt man so ein ganz schwummriges Gefühl in der Wissenschaftsdrüse.

Und ab Seite 142 geht es dann direkt um Professoren im Dienst der Pharmaindustrie.

So hätten Kanadische Wissenschaftler herausgefunden, daß vier von fünf Autoren medizinischer Leitlinien Honorare von Pharmafirmen erhalten und im Durchschnitt zwei dieser vier Autoren Angestellte oder enge Berater der Firmen sind, deren Medikamente sie dann in den Leitlinien empfehlen. Naja, und dann werden ausgiebig Verstrickungen und Gefälligkeitsaussagen von Professoren beleuchtet.

Ein besonderes Problem scheint zu sein, daß sich immer mehr Professoren als Miet-Maul hergeben. Die Konzerne schreiben irgendwelche Studien, in denen natürlich ihre Produkte gut dastehen und die Leute alle ganz krank sind und das Zeug brauchen, und die Professoren stecken das Geld ein und geben dafür ihren Namen her.

Was übrigens den perfiden Nebeneffekt hat, daß diese korrupten Professoren eine viel längere Veröffentlichungsliste als die ehrlichen haben – und deshalb bei Berufungsverfahren im Vorteil sind. Es stützt meine These, daß in den Hochschulsystemen ein regelrechter evolutionärer Selektionsdruck in Richtung der Korrupten besteht. Auch wenn der Buchautor hier erwähnt, daß das Phänomen in Deutschland eine geringere Rolle spielt, weil es hierzulande keine international wirklich angesehene Fachzeitschrift gibt – auch eine Aussage. Trifft ebenfalls meine Meinung.

Jedenfalls international ist das Phänomen keine Randerscheinung. Der Buchautor berichtet von einer Studie, nach der eben nicht nur einige, sondern sogar die meisten Artikel, die in medizinischen Fachzeitschriften unter dem Namen prominenter Wissenschaftler erscheinen, in Wirklichkeit aus der Feder von Ghostwritern, die von Pharmaunternehmen bezahlt werden stammen. Und sogar die Herausgeber von zwölf der angesehensten Medizinzeitschriften haben erkannt, daß es so nicht weitergehen kann. Früher sei es selbstverständlich gewesen, dass unabhängige klinische Forscher bestimmen konnten, unter welchen Bedingungen eine Studie ablaufen mußte usw. Mit steigendem wirtschaftlichem Druck sei das aber verloren gegangen. Wegen der Konkurrenzsituation zwischen privaten und akademischen Forschern könnte die Pharmaindustrie nun die Bedingungen diktieren.

Hans Weiss: Korrupte Medizin

Hochinteressante Erlebnisse eines Journalisten, der sich als Pharmavertreter ausgegeben hat. Zwar geht es in erster Linie um Ärzte, aber auch hier wird die Forschung beleuchtet. Für meine Themen wird es ab Seite 75 interessant, da findet sich ein schönes Zitat aus der Fachzeitschrift Annals of Internal Medicine:

Derzeit ist es so, dass die Medizin von Marketing durchzogen ist und die Grenzen zwischen Forschung, medizinischer Lehre und Werbung sehr viel poröser sind, als bekannt.

Auch hier geht es wieder darum, wie die Pharmaindustrie gezielt Meinungsbildner sucht und diese dafür vergütet, daß sie Meinungen bilden. Je nachdem, wie einflussreich die sind, können die bis zu 3.000 Dollar pro Stunde für das Verfassen von Manuskripten, Teilnahme in Beraterteams, Halten von Vorträgen usw. bekommen. Pro Stunde, wohlgemerkt, also noch mit dem Aufwand zu multiplizieren. Und wenn das auch noch nicht reicht, gibt’s noch Extravergütungen obendrauf. Und weil ein hochrangiger Meinungsbildner ja auch nicht nur für eine, sondern mehrere Firmen arbeitet, kommt da was zusammen. 250.000 Dollar im Jahr und mehr sind kein Problem.

Und so kommt es beispielsweise, daß man nicht nur die Grenzwerte verschiebt, damit immer mehr Menschen als unter Bluthochdruck leidend dastehen und medikamentös behandelt werden, sondern daß ein – deutscher – Professor sogar empfiehlt, daß man auch dann Mittel gegen Bluthochdruck nehmen soll, wenn man noch gar keinen Bluthochdruck hat.

Oder es gibt die Deutsche Hochdruckliega e.V., in deren Sektion Arzneimittel 7 Professoren sitzen, von denen 6 finanzielle Verbindungen zu Herstellern von Bluthochdruck-Mitteln haben.

Interessant auch die Vorgänge um Zyprexa, ein Psychopharmakum, das man wohl mit ziemlich dubiosen Methoden in den Markt gedrückt hat. AUch hier wieder in der Liste der Meinungsbildner eine ganze Reihe deutscher Professoren. Und die Methoden, die man für Zyprexa anwendete, waren wirklich absurd. Stellen Sie sich vor, Goethe käme leibhaftig in Ihre Praxis. Dem wäre nur noch mit Zyprexa zu helfen gewesen.

Und dann geht es ab Seite 143 hammerhart zur Sache, wie diverse Ärzte – Professoren – deutscher Universitäten gegen Geld ihre Patienten zu unfreiwilligen Versuchskarnickeln machen, auch mit Versuchen, die ethisch und fachlich unvertretbar sind.

Und dann kommt der Brüller. Hatte mir nicht gerade erst vor ein paar Tagen ein Professor der LMU München vorgeworfen, daß Kritik an Professoren nur Vorurteile seien? Ab Seite 149 beschreibt der Autor den Fall, wie er einen Münchner Professor dazu bringt, ein Antidepressivum an Patienten zu testen. Und das auch als Placebotest, obwohl – ich kann es selbst nicht beurteilen, aber es scheint mir plausibel – Placebotests an schwer depressiven Patienten wohl unverantwortlich sind. Dafür gebe es für den Studienleiter pro Patient (!) 8.000 Euro extra. Für Geld geht alles. Wenn mir hier also ein LMU-Professor in seinem Blog vorwirft, daß das ein Vorurteil sei und die Professoren dort alle von so edler Gesinnung und von höchstem wissenschaftlichem Streben beseelt seien, dann ist das nur ein Lacher. Die Realität sieht – auch an der LMU – anders aus.

Apropos LMU München, Medizin und Korruption: Gab es da nicht gerade erst eine fragwürdige Ehrendoktorwürde? Was man in Deutschland eben so unter einer Exzellenz-Universität versteht. Wie das immer alles so zusammenkommt…