Wirtschaft fickt Wissenschaft
Langsam kommt es ans Licht.
Letzte Woche habe ich mir – was selten vorkommt – wieder mal die ZEIT gekauft. Wegen des Titelbildes. Und der Titelgeschichte (von Kerstin Kohlenberg und Yassin Musharbash). Es geht um gekaufte Experten, bestellte Studien und die gesamte Hochschulkorruption. Und als Titelbild zwei Kaninchen, bei denen das eine Kaninchen („Industrie”) das andere („Wissenschaft”) besteigt. Herrlich.
Grundlage des Problems ist ja der Umbau der staatlich finanzierten Universitäten in dritt- und viertmittelfinanzierte Dienstleister, auch Drittmittelhuren genannt. Der akademische Straßenstrich. Da bekommt man heute einfach alles, ohne Gummi. Doktorgrade, Ehrendoktorwürden, Stiftungsprofessuren, Institute, was auch immer man will. Basistechnik, die man überall bekommt, ist der akademische Oralverkehr. Man kann sich jederzeit gutachterlich einen blasen lassen, denn die erzählen und schlucken alles, was immer man da bestellt und vorlegt. Da wird der Begriff des Mietmauls so wunderbar doppeldeutig.
Sie beschreiben, wie Google um die Ecke bei einem deutschen Professor ein Gutachten bestellt und gleich vorgibt, wie es aufgebaut sein soll. Hier behauptet der Professor, das sei ungewöhnlich und er habe das abgelehnt. Was nicht meiner Erfahrung entspricht, denn Professoren sind ja nicht nur darauf angewiesen, Drittmittel einzuwerben, sondern es wird an vielen Hochschulen auch als deren Dienstpflicht aufgefasst. An vielen Universitäten gilt es als Dienstpflichtverletzung, den zahlenden Freier abzuweisen. An den Universitäten herrscht eine Art Zuhältertum, und wer kein Geld reinholt, bekommt von Fakultät oder Rektorat auf die Fresse. Oder nichts mehr zu essen. Die wissenschaftliche Wahrheit hat sich zur industriell und auf Bestellung gefertigten Ware verwandelt.
So unterschiedlich diese Fragen sind, die moderne Wissenschaft beantwortet sie. Von ihren Erkenntnissen kann abhängen, ob der Bundestag ein Gesetz zur Reglementierung des Internets verabschiedet, ob die Energiewende in Verruf gerät und wie viel Kaffee die Deutschen trinken.
Solange es unparteiische Wissenschaftler sind, die diese Antworten geben, ist dagegen nichts einzuwenden. Was aber, wenn sich hinter den Wissenschaftlern in Wirklichkeit Unternehmen verbergen? Wenn es bei all der Forschung nicht um die Wahrheit geht, sondern um Geld, um die Gewinne von Internetfirmen, Stromkonzernen, Kaffeehändlern und Banken?
Was heißt hier „Was, wenn”?
Genau das wollte man doch haben, als man die Universitäten auf Drittmittel umstellte und Professoren nicht mehr nach Befähigung, sondern nach Umsatzleistung auf dem Straßenstrich einstellte. Es zählt nicht mehr, was einer im Kopf hat, sondern auf dem Konto.
Sie beschreiben, wie etwa die Deutsche Bank an der Berliner Humboldt-Universität und der TU Berlin ein Institut finanzierte, das den Unis jetzt peinlich ist. Denn es kam heraus, dass die Deutsche Bank da den Ton angab und festlegte, wo es lang gehen sollte.
Aber wen wundert das? Die haben sich doch zu reinen Bestellkonzernen verwandelt. (Und wundert es da noch, dass das Familienministerium an der Humboldt-Universität die wissenschaftliche Verbrämung von Gender einkaufen konnte, die sogar die Wissenschaft selbst verleugnet? Für Geld machen die alles – geistigen Analverkehr inbegriffen.)
Sie beschreiben, wie sich an immer mehr Hochschulen die Firmeneinflüsse ausbreiten und etwa Hörsäle nach Firmen benannt werden. Glaubt jemand ernsthaft, dass man darin noch Kritik an den Praktiken eben jener Firmen zu hören bekäme? Eben.
Und das kann sich lohnen. So wird beschrieben, dass einem Professor für eine Studie über den Nutzen der Atomenergie von der Atomindustrie ein Honorar über 135.000 Euro zugesichert wurde – zu zahlen auf das Konto des Privatbetriebs seiner Frau, nicht über Uni-Konten.
Und die Korruption schlägt dann endlich auch mal durch und beeinträchtigt das Bild in der Öffentlichkeit:
Vor rund drei Jahren gab die Europäische Kommission eine Meinungsumfrage in Auftrag. Die Bürger sollten sich zu der Frage äußern, ob sie den Ergebnissen der Wissenschaft Glauben schenken. Das Fazit: »Die Europäer gehen mit großer Entschiedenheit davon aus, dass man nicht darauf vertrauen kann, dass Wissenschaftler bei kontroversen wissenschaftlichen und technischen Problemen die Wahrheit sagen, weil sie zunehmend von den Fördermitteln der Industrie abhängig sind.«
Ja.
Den Vertrauensverlust haben sie sich auch redlich erarbeitet und verdient.
Fragt sich nur, wann auch Journalisten das in der Breite mal mitbekommen.
6 Kommentare (RSS-Feed)
Ich habe verschiedene Stile und Wortwahlen getestet, und bei zurückhaltenderen Wortwahlen bisher keinen Vorteil und keine stärkere Wirkung oder bessere Verbreitung feststellen können.
Festgestellt habe ich jedoch, dass ungenehme Aussagen in vornehmen Formulierungen leichter ignoriert und übergangen werden, da der Kern moderner “Wissenschaft” inzwischen darin besteht, zu ignorieren und zu übergehen, was einem nicht passt. Viele “Wissenschaftler” können heute gar nichts anderes mehr als selektiv zu ignorieren, halten das aber gleichwohl für Wissenschaft.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass man diesen Ignoranzpanzer mit deftigen Analogien und Metaphern leichter durchdringt und die Aussagen auch besser in Erinnerung bleiben.
Davon abgesehen war die Wortwahl doch angemessen, denn Sie fanden sie widerwärtig. Richtig. Ich finde unser Wissenschaftssystem widerwärtig. Mit welcher anderen Wortwahl hätte ich das so beschreiben können, dass es ankommt?
Ist die Wortwahl von diesem Artikel deftig und unangemessen? In einem akademischen Umfeld ist sie alles andere als gebräuchlich. Jedoch habe habe ich in meiner Karriere als Wissenschaftler unzählige Male feststellen müssen, dass sich hinter vornehmen Formulierungen sehr oft Verlogenheit und Unaufrichtigkeit verstecken. Wenn auch der Durchschnittsbürger davon ausgeht, dass an den Universitäten eine freie Diskussionskultur herrscht, so ist tatsächlich das Gegenteil der Fall. Das geht so weit, dass große Ungerechtigkeiten auf diese Art unter den Teppich gekehrt werden. Frei nach dem Motto “Nett ist der kleine Freund von Scheiße” werden die Abhängigkeitsverhältnisse von wissenschaftlichen Mitarbeitern schamlos ausgenutzt. Ich kenne viele Doktoranden, die von ihren Betreuern auf Himmelfahrtprojekte angesetzt wurden bis die Finanzierung auslief. In einigen Fällen handelte es sich um eine Verzögerungstaktik, um vom Drittmittelgeber noch mehr Geld für neue Projekte herausquetschen. Selbstverständlich wurden die Doktoranden nicht weiter bezahlt, weil das Projekt in ihrer Verantwortung lag. Im Gegensatz dazu wurde die Tatsache, dass die Betreuer das Projekt in den Sand gesetzt hatten, selektiv ignoriert. Weil ich selbst solche Erfahrungen gemacht habe, kann ich die Wut von Herrn Danisch und seine explizite Wortwahl sehr gut verstehen. Leider zwingt die mangelnde Rechtssicherheit dazu, dass solche Verhältnisse von den Doktoranden hingenommen werden müssen. Auf diesem Wege wird der Hang zur „geistigen Prostitution“ und zur “selektiven Ignoranz” den jungen Talenten systematisch anerzogen.
Die Wortwahl ist sicherlich drastisch, trifft aber durchaus den eigentlichen Kern. Die deutsche öffentliche Hochschullandschaft ist inzwischen ein riesiges Bordell in dem Erkenntnisse, Wissen und Wahrheit systematisch von Wirtschaft und Politik vergewaltigt werden.
Dies allein wäre noch kein Problem, denn wie bislang noch jedes korrupt-dekadente System wird auch dieses sich irgendwann selbst überleben. Problematisch sehe ich vielmehr die Lehre, die ohnehin immer schon das ungeliebte Kind im Universitätsbetrieb war und inzwischen zur völligen Lachnummer verkommt. Damit wächst ein akademischer Nachwuchs heran, der immer weniger dazu in der Lage ist Probleme und Zusammenhänge in sachlich-objektiver Weise anzugehen und daraus Lösungen zu entwickeln.
Aber wer weiß – vielleicht machen ja die privaten Hochschulen doch noch irgendwann das Rennen. Irgendwann werden die Leute sich jedenfalls dorthin wenden, wo sie halbwegs wissen was sie für ihr Geld bekommen bzw. wer den Laden eigentlich finanziert.
Was die Drittmittel anbelangt, so zählen auch DFG, BMBF, BMWi, EU, etc. auch dazu. Dies ist zwar keine direkte Förderung aus der Wirtschaft, dafür hängt man am Tropf der Politik und der Lobbyverbände.
Ursprünglich verfolgte man mit der Erhöhung des Drittmittelanteils mal die Idee, die Selbstgefälligkeit erstarrten und verschnarchten Beamtenunis wieder an die Herausforderungen des 21 Jahrhunderts zu führen. Das Ergebnis ist jedoch ein System von Seilschaften, Intransparenz, Ämterpatronage, Willfährigkeit und Korruption die jede Bananenrepublik in den Schatten stellt. Einen fairer, transparenter Wettbewerb, bei dem der fleißigere und talentiertere das Rennen macht – sei es bei der Finanzierung von Forschung und Entwicklung, sei es bei der Besetzung von Professuren findet nicht statt.
Stattdessen läuft es inzwischen nach alten dem Motto:
Kommen Sie näher!
Kommen Sie ran!
Hier werden Sie genau so beschissen wie nebenan!
[…] mache und das vor allem immer häufiger in den letzten Jahren. Und wie ich gerade feststellen darf, stehe ich nicht alleine da. Die Zeit hat das Thema sogar der breiten Öffentlichkeit offeriert. Und nun will ich auch einmal […]
Faszinierend finde ich, dass zwar immer wieder über Forschungsskandale berichtet und sich empört wird, dass viele Leute Wissenschaftlern misstrauen, dass aber die angeblich wissenschaftlich gewonnenen Erkenntnisse doch überwiegend geglaubt und häufig sogar vehement verteidigt werden.
Ich glaube, mit einer weniger deftigen Wortwahl wäre Ihre Botschaft besser zu verbreiten. So diskreditieren Sie Ihr aufrechtes Anliegen mit unnötigen und widerwärtigen Analogien.
Denn das Grunddilemma bleibt der Rückgang der Grundfinanzierung bei Unis und damit immer größere Abhängigkeit von Drittmitteln und die steigende (fachlich nahezu unkontrollierte) institutionelle Förderung (insb. HGF und WGL).
Damit steht der Ruf der Wissenschaft als neutraler Makler auf dem Spiel. Aber mit gutem Ruf allein lassen sich keine Brötchen bezahlen…