Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Wie heißt das Gegenteil von “Plagiat” ?

Hadmut Danisch
16.9.2012 12:04

Über Plagiate wird seit Karl Theodor sehr viel geschrieben. Folgt man der Presse und der PR-Arbeit der Universitäten, gibt es außer Plagiaten anscheinend kein anderes Fehlverhalten. Dabei erscheint mir das Gegenteil eines Plagiats als noch viel problematischer.

Keine Angst, ich will Plagiate nicht rechtfertigen oder verharmlosen. (Und stehe wohl auch nicht im Verdacht, das zu tun.) Plagiate sind nach allgemeinem Konsens (jedenfalls vereinfacht ausgedrückt) Abschreiben bei anderen ohne Quellenangabe, um sich fremde Lorbeeren aufzusetzen.

Es geht dabei also gar nicht mal (jedenfalls nicht strategisch) um einen inhaltlichen Betrug, sondern nur um den Betrug über den Autor, über den Urheber der Leistung. Zumindest per se und im Allgemeinen wird eine wissenschaftliche Aussage durch bloßes Abschreiben nicht falscher oder richtiger. Dafür besteht aufgrund der Tatsache, das etwas schon mal veröffentlicht wurde, zumindest eine ganz geringfügige Vermutung, dass es richtig wäre, weil eben schon gelesen. Ein zweiter Hinweis auf die inhaltliche Richtigkeit kann sein, dass der Plagiator sich für das Abschreiben aus dieser Quelle entschieden hat. Denn ein Plagiator muss ja nicht notwendigerweise dumm sein. Viele Plagiatoren beherrschen das Fach durchaus und können sehr wohl beurteilen, ob eine Quelle gut und „abschreibenswürdig” ist, können aber nicht selbst Neues hervorbringen (oder haben einfach nicht die Zeit oder die Motivation, sowas gibt’s auch). Etwas selbst zu schreiben, heißt zunächst mal nur, dass einer es gut und richtig fand, der Autor. Damit etwas abgeschrieben wird, müssen es immerhin schon mal zweie gut und richtig finden, der Autor und der Plagiator. Auch eine Art von Peer Review und Würdigung.

Was mir jedoch auch schon häufig begegnet ist, und gerade in den letzten Monaten, seit ich mich mit der Wissenschaftsbetrugsdisziplin „Gender Studies” auseinandersetze, besonders intensiv, ist das Gegenteil eines Plagiats:

Der Autor denkt sich irgendeinen Blödsinn aus, und schreibt dies per Quellenangabe jemand anderem zu. Dabei sind mir bisher folgende Varianten aufgefallen:

  • Verweise auf Quellen, die es gar nicht gibt (frei erfundene Bluff-Quellen).
  • Verweise auf Quellen, die es gibt, in denen das zitierte aber nicht steht (ebenfalls Bluff bzw. direkter Betrug).
  • Ehren- und Kartell-Zitierungen, bei denen jemand als Urheber für etwas zitiert wird, was eigentlich von jemand anderem stammt (und der vielleicht nur selbst zitiert hat), ähnlich zu den Ehren-Autorenschaften.
  • Bekenntnis- und Glaubenszugehörigkeits-Zitate, bei denen das Zitat nur der Markierung dient, einer bestimmten Denkrichtung zuzugehören, quasi als Gang- oder Tribe-Zeichen.
  • Wissenschaftlich falsche Zitierungen, etwa wenn eine Behauptung nicht bewiesen oder belegt wird, sondern stattdessen auf die Quelle X verwiesen wird, obwohl die Behauptung dort auch nur erhoben und nicht bewiesen wird, um insgesamt vorzutäuschen, dass eine Behauptung bewiesen, der Beweis allgemein bekannt und als selbstverständlich vorauszusetzen, und der Leser ungebildet sei, wenn er ihn nicht kenne.
  • Pseudo-Zitierungen, bei denen die bestehende (oder Zitierkartell-eigene) Fachliteratur vollständig zitiert wird nur damit sie zitiert wird, um eine soziale Anerkennung der Hierarchie zu signalisieren oder anzuzeigen, wieviel man kennt.
  • Gegenseitigkeitszitierungen, bei denen jemand grundlos zitiert wird, damit der sich veranlasst sieht, einen im Gegenzug auch zu zitieren.
  • Nachträgliche Zitierungen, bei denen das Werk (meist Dissertationen) zuerst geschrieben wird, und dann danach erst eine möglichst riesige Literaturliste aufgeschäumt wird, obwohl man die Werke gar nicht verwendet hat.
  • Füll-Zitierungen, etwa wenn (gerade bei Juristen gerne genommen) es inhaltlich nicht reicht, um auf die 200-300 Seiten für eine Diss oder ein Buch zu kommen, zitiert man so viel, dass die Hälfte oder Zwei Drittel der Seiten nur aus Fußnoten bestehen, was nicht nur einen hochwissenschaftlichen Eindruck macht, sondern den Umfang verdoppelt oder verdreifacht. Qualitativ sogar letztlich mit dem Plagiat zu vergleichen, weil der Autor das Werk aufschäumt, indem er bei anderen abschreibt, nur schreibt er nicht den Inhalt, sondern die Quellenangaben ab.
  • Und – last not least – die systematische Pseudozitate, bei denen in Fächern, die über keine Wissenschaftsmethodik verfügen (Philosophie, viele „Geisteswissenschaften”) sich eine Ersatz- oder Krüppel-Methodik herausbildet, die allein darauf beruht, sich gegenseitig zu zitieren und sich gegenseitig anzuerkennen. A hat’s geschrieben, es wurde „rezipiert” und außerdem noch von B und C zitiert – also muss es wahr sein und als bewiesen gelten. Diese Technik beruht auf der Annahme, dass man jede beliebige Aussage durch stetes Wiederholen wahr machen kann. Teilweise beruht dies auf der philosophischen und in manchen Geisteswissenschaften verbreiteten Annahme, dass es eine Verifikation einer Aussage nicht gibt, und damit jede x-beliebige Aussage „wissenschaftlich wahr” ist, solange das Publikum sie nicht falsifiziert hat (also die wissenschaftliche Arbeit sowieso bei anderen und nicht beim Autor liegt). Dann wird als „Wahrheitsbeweis” angesehen, dass die Aussage doch schohn so oft und so früh geäussert wurde und bisher keiner den Gegenbeweis angetreten habe. Was aber nicht explizit gesagt, sondern nur implizit unterstellt und dem normalen Leser durch Zitat vorgegaukelt wird, das sei irgendwo bewiesen.

Im Gegensatz zum Plagiat werden mit dem Falschzitat inhaltlich falsche Aussagen als wissenschaftlich hingestellt. Während sich der Autor beim Plagiat fremden Ruhm einsammeln will, erhebt der Autor beim Falschzitat Aussagen, für die er die Verantwortung nicht selbst übernehmen, sondern auf andere schieben will, oder von denen er weiß, dass er sie nicht belegen kann und deshalb täuschen muss.

Es hat gewisse Ähnlichkeit mit den Urban Legends, bei denen jemand irgendeine Phantasie-Story erzählt und als Glaubwürdigkeitsbeleg dazudichtet, irgendeine Verbindung zum angeblichen Urheber zu haben (Der Mann der Nachbarin eines Geschäftskollegen hat gesehen dass…). Der Leser einer Aussage hält sie automatisch für richtiger, wenn sie von hochtrabenden Quellenangaben begleitet ist, und umso mehr, wenn diese Quellen schwer zu beschaffen sind (siehe auch Coe/Westfield/Wideman: Credibility Aspects of Publications in Modern Science, Journal of Advanced Psychology, 1983, pp. 372-415).

Oder anders gesagt:

Während der Wissenschaftszirkus immer davon ausgeht, dass viel zu zitieren gut, richtig, „wissenschaftlich” sei, muss der kritische Leser eine Quellenangabe, die er noch nicht überprüft hat, und die nicht nur als Ergänzung oder Quelle für Gesagtes, sondern als Platzhalter für nicht Gesagtes, also insbesondere für fehlende inhaltliche Belege, Beweise usw. steht und als Glaubwürdigkeitsverstärker dient, als das betrachten, was sie ist: Eine Lücke im Text.

Ich warte ja mal drauf, dass eine Diss nicht hochgeht, weil Zitate fehlen, sondern weil Zitate gefälscht wurden.

Derzeit bekomme ich gerade seit ich mich kritisch mit dem Feminismus, Gender und Queer beschäftige (weil ich sie als Ausprägungsformen des Wissenschaftsbetruges ansehe) diverse Zuschriften und Aufforderungen, dass man doch die einschlägigen Dissertation mal auf Plagiate prüfen möge. Ich glaube aber, das verfehlt das Problem. Zwar ist mir im Gender-Zirkus durchaus schon aufgefallen, dass selbst in der Hierarchie hochstehende Professorinnen praktisch nichts selbst erdenken, sondern nur den amerikanischen Hirn-Müll ins Deutsche übersetzen (und dabei reichlich Übersetzungsfehler machen, wenn sie etwa methodology mit Methologie oder Methodologie und nicht mit Methodik oder technologies mit Technologien und nicht mit Techniken übersetzen, wenn sie juristische Überlegungen zwar sprachlich, aber nicht für unser Rechtssystem übersetzen, oder wenn mitunter sogar der ganze Satzbau englisch bleibt). Und dabei gelegentlich die Quellenangaben zu „Anregungen” degradieren. Aber ich glaube, das ist vernachlässigbar.

Ich glaube nicht, dass es viel bringt, da nach Stellen zu suchen, für die die Quellenangaben fehlen, weil nämlich diese literaturwissenschaftlichen und soziologischen Texte gar keine andere Geistesleistung enthalten, als sich wie die Wahnsinnigen ständig gegenseitig und im Kreis herum zu zitieren und die Verantwortung für Aussagen immer auf jemand anderen zu schieben. Um die Unwissenschaftlichkeit aufzuzeigen muss man hier im Gegenteil den Quellenangaben folgen und aufzeigen, dass das, wofür sie zitiert werden, dort so nicht steht oder auch nicht bewiesen wird.

Oder anders gesagt: Nur der Anfänger begeht Wissenschaftsbetrug durch Abschreiben.

Der richtige Wissenschaftsbetrüger schreibt irgendeinen frei erfundenen – und möglichst unverständlichen und inhaltslosen – Blödsinn und spickt das mit Tausenden von Quellenangaben.

16 Kommentare (RSS-Feed)

Siap1984
16.9.2012 12:47
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3 Anmerkungen:

1. Finde ich Ihren Beitrag sehr hilfreich, weil in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit häufig der Eindruck entstand, dass Plagiate die einzige Form von wissenschaftlichem Fehlverhalten wären. Natürlich sind Falschzitate in jeder Form ebenso problematisch.

2. Ich stehe Zitatkartellen auch eher skeptisch gegenüber, finde sie aber zumindest in den “Geisteswissenschaften” nicht so problematisch, wenn sie nicht(!) dazu führen, dass anders Meinende systematisch ausgeschlossen werden. Wenn sich aber dieselbe Grundaussage A bei 5 Autoren findet, sehe ich kein Problem darin, dass man – gekennzeichnet etwa mit “z.B.” nur einen zitiert, auch wenn man den persönlich kennt oder mag.

3. Umgekehrt habe ich Probleme mit der Aussage zu “aufgeblähten Fußnoten”. Auch die Erwähnung aller 5 Gleichmeinender ist unproblematisch, so man sie denn selbst konsultiert hat und hinsichtlich des Inhalts zu dem Schluss gekommen ist, dass der Inhalt entsprechend zu bewerten ist. Wenn nun der jüngste der 5 in seiner Fn. stehen hat “Ebenso schon die anderen 4”, warum sollte dann der 6. Autor nur auf “Nr. 5 m.w.N.” verweisen und die anderen Primärquellen nicht auch selbst aufführen? Eine Ausnahme hiervon finde ich nur gerechtfertigt, wenn a) die Nrn. 1-4 schwer auffindbar oder beschaffbar sind oder b) wenn die Lesart von 1-4 gemeinhin der Position B zugeordnet wurde, und Autor Nr. 5 nun überzeugend die Aussage A zugeordnet hat. Dann müsste man Autor 5 speziell hervorheben. Nicht jede lange Fußnote muss deshalb auch eine aufgeblähte Fußnote sein.

Ansonsten teile ich Ihre Auffassung.


Hadmut Danisch
16.9.2012 12:51
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> Auch die Erwähnung aller 5 Gleichmeinender ist unproblematisch

Ich hab ja gar nichts dagegen, dass man alle Quellen vollständig zitiert. Aber in einer wissenschaftlichen Arbeit sollte man eigentlich irgendwann auch mal was selbst sagen und produzieren.

Oder anders gesagt: Da muss auch mal ein Textabschnitt ohne Quellenangaben auftauchen, sonst stellt sich die Frage, was der Autor eigentlich selbst gemacht haben will.


Hans Kasper
16.9.2012 17:33
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Die Beobachtung ist sicherlich weitgehend richtig und sehr wichtig. Allerdings handelt es sich bei manchen hier als Falschzitate gegeiselten Zitaten, um Gefälligkeitszitate. Diese sind nicht unbedingt inhaltlich falsch, sondern meist eher dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht zum Inhalt passen oder für die Aussage irrelevant sind. So kann ein Informatikautor sehr leicht versucht sein das Programmkommittee seiner Konferenz durchzusehen und den möglichen Reviewern einen Gefallen tun, um bessere Chancen auf Annahme zu haben. Ich erinnere mich, da auch einen guten Artikel zu peer review in der Volkswirtschaft gelesen zu haben, wo die Annahmequote von Nobelpreisartikeln untersucht wurde. Da wurde auch die Rolle von Journal Editoren und deren Einfluss auf die Wissenschaft, u.a. John Maynard Keynes, hervorgehoben.


Siap1984
17.9.2012 8:44
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>Da muss auch mal ein Textabschnitt ohne Quellenangaben auftauchen, sonst stellt sich die Frage, was der Autor eigentlich selbst gemacht haben will.

Absolut. Da haben Sie natürlich vollkommen recht. Ich möchte aber ergänzend darauf hinweisen, dass auch eigene Stellungnahmen- die in der Jurisprudenz gerne schon in der Überschrift gekennzeichnet werden, wenn sie einen gewissen Umfang überschreiten, denn damit verdient man sich letztlich seine Sporen – Fußnoten enthalten können (Verweise nach oben, Standarddefinitionen, die erstmals verwendet werden, “erneut-“-Zitate, um einen Punkt zu verdeutlichen, Rechtsprechungsbelege, die Teil der Auseinandersetzung sind, etc.). D.h., die Anwesenheit von Fußnoten bedeutet nicht automatisch die Abwesenheit eigener Auseinandersetzung. Dafür muss man den Haupttext würdigen. Umgekehrt wird man in einem Gesetzeskommentar zB oft Passagen ohne Nachweis finden, die keine Eigenleistung der Autoren enthalten. Da stellt sich dann oft die Frage, wo das Plagiat beginnt… Soweit ich sehe, gibt es da in der Community noch keine feste Position zu.


Herrmann
18.9.2012 8:31
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Ist das Äquivalent zum Fälschen von Messergebnissen.
Also müsste es “Forging” genannt werden, um die Frage nach dem Gegenteil des Plagiats zu beantworten.


Alper Ünal
18.9.2012 11:53
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Zu den ersten 2 Punkten:
Mir scheint, dass das noch am ehesten ein Problem der Geistes- und Sozialwissenschaften ist, in denen sehr vage zitiert wird
(etwa Danisch, 2007). In den Naturwissenschaften werden meist Journalartikel (nachvollziehbar) zitiert, da geht es wesentlich schneller eine Aussage zu überprüfen (was ich tagtäglich tue), weil man nicht einen 600 Seiten-Schmöker erst einmal identifizieren, finden, und dann auf eine Aussage hin querlesen muss.


Hadmut Danisch
18.9.2012 12:01
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> in denen sehr vage zitiert wird (etwa Danisch, 2007)

Vorsicht, da bin ich anfangs auch drauf reingefallen. Solche Angaben sind meist doch eindeutig, was das Buch betrifft, denn im Literaturverzeichnis werden die dann hinten spezifischer, und dort können dann auch Werke so gelistet sein, man also eindeutig auf das Werk kommen. Mitunter machen sie dann auch Seitenangaben.

Oft ist es aber durchaus auch so, dass die nur bluffen und der Leser einfach selbst mal 300 Seiten referenziertes Werk x 300 Referenzen lesen soll um herauszufinden, dass es da nicht steht.


Erbloggtes
19.9.2012 23:56
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Lieber Herr Danisch,
ich muss Ihnen bei diesem Beitrag mal beherzt widersprechen. Nicht dass es keine Zitatfälschungen gäbe. Aber was Sie oben auflisten, ist größtenteils keine Zitatfälschung und kein Wissenschaftsbetrug. Sie vermischen da Sachverhalte und suggerieren damit, eine unnötige Fußnote sei schlimmer (“noch viel problematischer”) als ein Plagiat.

Darüber hinaus sprechen Sie ganzen Disziplinen die Wissenschaftlichkeit ab, weil dort andere Maßstäbe gelten als die Ihnen vorschwebenden. Das ist unseriös, und eine Wiederholung der Denunziationen der Sokal-Affäre ist weder lehrreich noch sinnvoll.
Ihre Wahrheitstheorie ist sehr beschränkt, und Sie beachten dabei zu wenig, dass die Konsenstheorie der Wahrheit eine anerkannte Theorie ist, gerade weil die Alternativen, denen sie widerspricht, schwerwiegende Begründungsprobleme mit sich bringen.
Ich finde, mit Schmähungen wie “Wissenschaftsbetrugsdisziplin „Gender Studies”” erreichen Sie nicht Ihren eigenen Anspruch, jedenfalls nicht, wenn das heißen soll, dass diese Disziplin (oder ähnliche) systematisch Wissenschaftsbetrug zum Inhalt haben, etwa weil sie Geister sehen oder meinen, dass die Pyramiden von Aliens erbaut wurden. Wenn es nur bedeuten soll, dass es öfters unseriöse Fälle in solchen Fächern gibt – geschenkt, das ist bei Jura so, und in vielen anderen Fächern ebenfalls. Was Sie aber nicht tun sollten, ist, irgendwelche technischen Beweistheorien auf nichttechnische Fächer übertragen und fordern, dass dieses sie erfüllen müssten. Das wäre einfach sinnlos. Lesen Sie dazu doch mal C. P. Snow: The two Cultures, 11. Auflage, Cambridge 2008.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu Ihrer gehässigen Übersetzungskritik: Wenn man etwas über “reichlich Übersetzungsfehler” schreibt wie “methology mit Methologie und nicht mit Methodik” zu übersetzen, dann sollte man da schon sorgfältiger vorgehen. Es muss “methodology” und “Methodologie” heißen. Und je nach Kontext kann die Übersetzung von “methodology” mit “Methodologie” durchaus richtig sein. Abgesehen davon wirkt es etwas kleinkariert, lautstark auf eine Begriffsunterscheidung zu pochen, die vielleicht 10 Prozent der Hochschulabsolventen überhaupt nachvollziehen können.

Wissenschaft lebt auch von Skepsis gegenüber dem, was man selbst glaubt. In diesem Sinne hoffe ich, dass es demnächst wieder eine Nummer bescheidener gehen wird.
Schöne Grüße
Erbloggtes


Hadmut Danisch
20.9.2012 0:24
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@Erbloggtes:

Oh nein, da muss ich mehrfach widersprechen:

  1. Eine „unnötige” Fußnote ist im Allgemeinen kein Problem, kann aber im Wissenschaftsbereich – und besonders häufig bei Dissertationen – den falschen Eindruck einer großen Literaturrecherche vorgaukeln und damit Leistungen vortäuschen. Bei allgemeinen Büchern, die nicht der Leistungsbewertung unterliegen, mag das anders sein.
  2. Gerade im geisteswissenschaftlichen und feministischen Umfeld stören mich nicht die „unnötigen” Quellenangaben, sondern die, mittels derer suggeriert wird, dass etwas an anderer Stelle belegt bzw. bewiesen würde, obwohl es das nicht ist.
  3. Ich spreche anderen Disziplinen nicht die Wissenschaftlichkeit ab, weil sie andere Maßstäbe haben, sondern weil sie gar keine Maßstäbe haben. Die Gender Studies etwa haben nicht nur keine Methodik, sondern nehmen ausdrücklich für sich in Anspruch, keine Methodik zu haben und Qualität abzulehnen. Nach Ihrer Logik jedoch wäre einfach alles Wissenschaft, weil es ja gar nichts mehr gäbe, dem man die Wissenschaftlichkeit absprechen dürfte. Irgendwo muss man mal eine Grenze ziehen.
  4. Außerdem spreche ich das nicht (nur) nach eigener Einschätzung ab, sondern orientiere mich dabei auch an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
  5. Ich bin nicht der Meinung, dass es bei „Gender Studies” um Einzelfälle oder Ausreißer geht. Ich behaupte, dass das ganze Fach in seiner Gesamtheit und Ausrichtung unwissenschaftlich und frei aus der Luft gegriffener Unsinn ist. Das ist eine Meinung, die ich vertreten und äußern können muss, Sie können sie doch nicht a priori zu den unerlaubten Meinungen legen.
  6. Ich rede nicht von „technischen Beweistheorien”, sondern von allgemeingültigen und grundsätzlichen Anforderungen an die Wissenschaft. Die eben auch das Bundesverfassungsgericht aufgestellt hat. Wissenschaft kann ja nicht jeden beliebigen Unfug grenzenlos umfassen. Wissenschaft kann nicht sein, sich einfach in den Hörsaal zu stellen und sich einfach aus der Luft heraus irgendwelche Aussagen zusammenzuphantasieren.
  7. Es kann ja auch nicht angehen, dass Leute aus Steuermitteln lebenslang dafür alimentiert werden, dass sie einfach nur Blödsinn treiben, und nicht einmal versuchen, nicht einmal irgendwie versuchen, ihre Aussagen auf Wahrheit zu prüfen.
  8. Sie werfen mir vor, dass ich zu hohe Anforderungen stellen würde. Warum aber soll ich hinnehmen, dass man an mich um Größenordnungen höhere und qualitativ ganz andere Anforderungen gestellt hat? Warum gilt die Milde, die Sie den Geisteswissenschaften zukommen lassen wollen, für mich nicht auch?

> Es muss “methodology” und “Methodologie” heißen.

Stimmt. Müsste. Heißt’s aber auch nicht immer. Habe mich gerade wieder irreleiten lassen, weil ich es gerade wieder irgendwo mehrfach falsch (und nicht nur falsch übersetzt) gelesen habe. Danke.


Hadmut Danisch
20.9.2012 0:26
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Zu Ihrer Beruhigung: Im Buch hab ich beides richtig geschrieben.

Blog-Artikel sind nunmal flüchtig produzierte Machwerke.


Hadmut Danisch
20.9.2012 0:31
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> In diesem Sinne hoffe ich, dass es demnächst wieder eine Nummer bescheidener gehen wird.

Ah ja. Damit’s niemanden stört und alles so weitergehen kann, wie bisher. Wie sollte man dann Wirkung erzielen und etwas ändern können?

Im Gegenteil, die Kritik muss noch drastisch intensiviert werden, um die Ignoranz zu durchdringen. Viele der pseudowissenschaftlichen Schwindel- und Hokus-Pokus-Fächer konnten sich ja erst bilden, weil zu viele Leute die Klappe halten oder wegschauen.


Erbloggtes
20.9.2012 13:58
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Ich habe mich eben mit einem pensionierten Pädagogen über Wissenschaftskommunikation, insbesondere Rezensionen, unterhalten. Es gibt Wissenschaftler, die ihre Tätigkeit als Kampf um die Deutungshoheit begreifen und sich über andere Wissenschaftler in diesem Sinne äußern, etwa indem sie als Rezensionen drastische Verrisse produzieren – in der Absicht, größtmögliche Wirkung zu erzielen, damit sich etwas ändert.

Der pensionierte Pädagoge meinte, man müsse auch im Schreiben über Wissenschaft viel pädagogischer vorgehen: Bei Schülern sollte man auch erstmal die Leistungen würdigen (unabhängig davon, ob man sich über die Schüler ärgert), dann sachliche, detaillierte Kritik äußern, und abschließend aus den guten Ansätzen und den kritikwürdigen Versäumnissen eine Note bilden, die zum Besseren tendiere und den Betreffenden dazu ermutige, an sich zu arbeiten. Ebenso müsse man Rezensionen verfassen. Schon der Respekt vor dem Rezensierten gebiete dies.

Ich habe ergänzt, dass auch der Respekt vor dem Publikum dies gebiete. Drastische Verrisse empfinden die meisten Leser als unsachlich, persönlich gefärbt und wenig glaubwürdig. Häufig tun sie sie dann als Wutausbruch ab, so dass die intendierte Wirkung verpufft. Die Ausnahme von dieser Regel ist, wenn ein Rezensent mit seinem Publikum bestimmte Ressentiments gegenüber dem Rezensierten teilt. Dann kann er sich mit dem Publikum verbünden, und das Publikum wird rufen: Richtig so, gib’s ihm! Immer feste drauf!

Dabei wird dann ein Wir-gegen-die-Denken verstärkt (auch auf Seiten der Kritisierten), das die Vorstellung von Wissenschaft als Kampf um die Deutungshoheit bestätigt. Die Leute, mit denen man ohnehin schon einer Meinung war, unterstützen einen dann, und die anderen müssen vernichtet werden, denn überzeugen kann man sie so auf keinen Fall.
Ich meine dagegen, dass die wichtigste Fähigkeit von Wissenschaft ist, dass man damit Leute von etwas überzeugen kann, was sie vorher NICHT geglaubt haben. Um diese Fähigkeit zu erhalten, sollte man das Wir-gegen-die-Denken nicht fördern.[*]

Sie schreiben von Ihren persönlichen Erfahrungen, die Sie in Ihrer Auffassung bestärkt haben (“Warum aber soll ich hinnehmen, dass man an mich um Größenordnungen höhere und qualitativ ganz andere Anforderungen gestellt hat? Warum gilt die Milde, die Sie den Geisteswissenschaften zukommen lassen wollen, für mich nicht auch?”). Das finde ich sehr nachvollziehbar. Ihr Gerechtigkeitssinn ist verletzt. Ich persönlich will nicht nur “den Geisteswissenschaften” Milde zukommen lassen, sondern auch “den Naturwissenschaften”. Und Ihnen auch. Ich kenne auch einige Menschen, die auf vernichtende Kritik mit nichts anderem als vernichtender Kritik reagiert haben. Die Vorstellung von Wissenschaft als Kampf hilft dabei, zu akzeptieren, dass man persönlich vom Kriegsgegner angegriffen wird, und zurückzuschießen hilft bei der Verarbeitung. Das ist, glaube ich, sehr menschlich. Ich glaube nur nicht, dass man mit dieser Haltung ein zufriedenes Leben führt. (Aber da mögen Sie mich eines besseren belehren.)

Man kann es als epistemologischen Pluralismus bezeichnen: Die Überzeugung, dass es verschiedene Wege zu wissenschaftlichen, d.h. intersubjektiv nachvollziehbaren Erkenntnissen gibt, und dass diese Wege auch nebeneinander bestehen sollten. Auch, dass eine monistische, nur einen Erkenntnisweg zulassende Einheitswissenschaft (die ja aus anderen, systematischen Gründen attraktiv ist) letztlich schädlich wäre.

[*] = Es ist natürlich ein Problem der Selbstwidersprüchlichkeit, wenn man zum Kampf gegen das Wir-gegen-die-Denken aufruft. Da stehen dann auf der einen Seite die Wir-gegen-die-Denker, auf der anderen die Nicht-Wir-gegen-die-Denker, und letztere befinden sich ungewollt in einem Kampf Wir-gegen-die. Damit hätten sie genau das erreicht, was sie vermeiden wollten.


Erbloggtes
20.9.2012 14:10
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P.S.: Es lohnt sich, Rezensionen mal unter diesem Gesichtspunkt zu lesen. Julia Schramms Buch “Klick mich” zum Beispiel, das wurde von vielen in Grund und Boden kritisiert. Der Tonfall entwertete diese Rezensionen aber meiner Ansicht nach so, dass nur die, die ohnehin schon Julia Schramm blöd fanden oder die Piratenpartei blöd fanden oder (schon vorab) glaubten, dass das Buch Mist sein müsse, dass nur diese Gruppen davon überzeugt werden konnten, dass ihre vorgefasste Meinung die richtige sei.

Ich habe über dieses Thema zuletzt auch gebloggt.


Hadmut Danisch
20.9.2012 14:49
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> Der pensionierte Pädagoge meinte, man müsse auch im Schreiben über Wissenschaft viel pädagogischer vorgehen

Klar. Wer nur den Hammer kennt, für den sieht alles wie ein Nagel aus.

Die von Ihnen vorgeschlagene Vorgehensweise taugt nur, wenn man in den entsprechenden Kreisen etabliert und anerkannt ist, und ohnehin gelesen wird, egal was man liest.

> Bei Schülern sollte man auch erstmal die Leistungen würdigen

Ich habe im gesamten Genderismus noch keine einzige würdigungsfähige Leistung entdeckt. Wie auch, sie vermeiden ja jede greifbare Aussage und lehnen Leistung ab. Wofür sollte man sie würdigen können? Es gibt bei Gender ja gar keine Leistung, die haben nie etwas untersucht. Soll ich mir etwa etwas ausdenken, um es würdigen zu können?

Außerdem beschweren sich ja jetzt schon einige Leute, dass ich zu umfangreich schreibe. Und dann noch länger?

Der Respekt vor dem Publikum gebietet es auch, dass man klar und verständlich schreibt und nicht mit etwas aufpolstert, was man nicht sagen will.

Sie begehen einen katastrophalen Denkfehler: Sie schieben die Schuld für katastrophale Kritik immer dem Kritiker zu. Damit blenden Sie von vornherein die Möglichkeit aus, dass etwas tatsächlich katastrophal schlecht und die Kritik damit zutreffend sein könnte.

Würde man Ihnen folgen, bedeutete dies, dass man etwas katastrophal Schlechtes gar nicht zutreffend beschreiben dürfte. Und das ist wissenschaftlich nicht haltbar.

Ich betrachte es übrigens nicht als meine Aufgabe, mich als Prüfling, Steuerzahler und Bürger permanent von kriminellen Machenschaften schädigen zu lassen, das mit freundlichen Worten hinzunehmen und mich in dieser Opfer- und Zahlerrolle in „Zufriedenheit” einzurichten. So etwas sind eindeutig Täter-Wünsche.

Ich habe auch nie gesagt, dass ich nur einen Erkenntnisweg zulassen würde. Hören Sie bitte auf, hier falsche Behauptungen über mich aufzustellen.

Ich habe gesagt, dass es im Genderismus nicht nur keinen Erkenntnisweg gibt, sondern dass sie sogar offen behaupten, keinen zu haben. Und irgendwo muss man eben eine Grenze ziehen, wo etwas nicht mehr den Begriff der „Erkenntnis” verdient.


Erbloggtes
20.9.2012 18:39
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Ich habe auch nie gesagt, dass Sie nur einen Erkenntnisweg zulassen würden. Hören Sie bitte auf, hier falsche Behauptungen über mich aufzustellen, wie die, dass ich “eindeutig Täter-Wünsche” hegen würde.


[…] dieses Problem Hadmut Danisch, der in seinem immer lesenswerten Blog “Forschungsmafia” gleich eine Kategorisierung vorschlägt. Auch ich stelle in meiner Gutachtertätigkeit vermehrt fest (da eben auch die Methoden […]