Forschungsmafia: Titelhandel · Forschungsbetrug · Wissenschaftskorruption · Hochschulkriminalität

Das Gegenteil von Plagiat ist auch Schwindel

Hadmut Danisch
24.11.2011 22:28

Bemerkenswerte Beobachtung in der Sueddeutschen: Es gibt nicht nur Plagiate (abschreiben ohne zu zitieren), sondern auch Phantom-Zitate (etwas zu zitieren, was da nicht steht). Es wundert mich nur, daß sich darüber noch jemand wundert.

Warum zitieren die Leute Werke, obwohl dort das Zitierte nicht steht oder es das Werk nicht mal gibt? Die Gründe liegen doch auf der Hand:

  • In der Wissenschaftsszene hat sich die Ansicht breit gemacht, daß die Zahl der Zitate ein Qualitätsmerkmal ist. Weil zu viele Wissenschafter ihr Fach so wenig beherrschen, daß sie die Qualität eines Artikels nicht selbst beurteilen können (und von denen, die es können, lesen den Artikel auch nicht alle, bevor sie ihn bewerten), aber durchaus noch zählen können, kommt es eben auf die Zahl der Zitate an. Viel hilft viel. So wie man bei Berufungen auch häufig nur die Veröffentlichungen zählt, aber sie nicht qualitativ bewerten kann.
  • Es klingt paradox, aber auch das ist ein Plagiatseffekt. Eigentlich sollte man in Quellenverzeichnissen nur die Werke auflisten, die man tatsächlich verwendet hat. Viele schreiben aber einfach auch das Quellenverzeichnis bei anderen ab. Also wieder der Effekt, daß man etwas plagiiert und nicht merkt, daß es nicht stimmt, nur hier eben anhand von Quellenverzeichnissen.
  • Auch so eine Wissenschaftler-Unsitte: Weil die meisten sowieso nicht sauber arbeiten und das Prinzip des Quellenverzeichnisses eh nicht verstanden haben, sind das Quellenverzeichnis und der Zitateapparat längst zu einem Literaturüberblick verkommen. Nicht was man verwendet hat, wird gelistet, sondern möglichst alles, was es überhaupt gibt.

    Macht man das nämlich nicht, läuft man erstens Gefahr, daß ein möglicher Leser des Papers oder der Arbeit sich beleidigt fühlt, weil gerade sein Käse nicht im Quellenverzeichnis steht.

    Zweitens macht man sich angreifbar, denn es gehört ja zu den professoralen Schwafeltechniken, mit denen man alles in Frage stellen, schlechtmachen und anzweifeln kann, ohne es gelesen und verstanden zu haben, daß irgendetwas fehlt. „Hätte … müssen” gehört ebenso zum dümmsten, wie auch zum beliebtesten Schmähgeschwätz in Wissenschaftlerkreisen. Und würde irgendeiner, dem irgendwas nicht paßt, irgendein Werk einfallen, das auch nur entfernt mit dem Thema zu tun hat (oder nicht mal das), und das im Literaturverzeichnis fehlt, heißt es sofort, der Autor habe ja nicht mal X gekannt oder hätte unbedingt Y zitieren müssen. Und wenn es noch so dämlich ist, das zieht in Wissenschaftskreisen immer. Also hat man – unabhängig vom Inhalt – schon mit großer Wahrscheinlichkeit verloren, wenn einem irgendwas einfällt, was nicht im Verzeichnis steht. Also schreibt man alles rein, was passen könnte.

  • Unter – je nach Fach – 3 bis 50 Seiten Quellenverzeichnis braucht man sich gar nicht erst blicken zu lassen.
  • Und dann natürlich der wichtigste Punkt: Recht hat man nicht, weil das, was man schreibt richtig oder falsch, überzeugend oder fehlerhaft begründet ist. Kapiert sowieso fast keiner. Recht hat der, der sich beim Hierarchiehöheren in den Windschatten einklinkt. Der Wissenschaftszirkus funktioniert nicht intellektuell, sondern hierarchisch-klerikal. Sagt A etwas und im Publikum sitzt B mit höherem Rang, hat A automatisch Unrecht, weil nicht das Argument, sondern Ober-sticht-Unter gilt. Beruft sich A aber auf C indem er C zitiert, und C ist höher als B, dann hat B automatisch verloren, egal was er sagt.

    Zitieren dient also auch dem Markieren einer höheren Rangordnung als der, die man eigentlich hat.

  • Wissenschaft beruht auf Gegenseitigkeit und auf Eine-Hand-wäscht-die-andere. Zitiermetriken sind wichtig, und damit auch zitiert zu werden. Man kann aber nicht erwarten, daß einen jemand zitiert, wenn der nicht selbst zu Thema schon zitiert worden ist (weil er dazu ja wissenschaftlich redlich sein müßte, was er nicht ist). Möchte man also seinen eigenen Wert steigern, in dem man möglichst oft zitiert wird, muß man vorlegen und damit zunächst mal alle die zitieren, von denen man zitiert werden möchte. Und wenn die gerade nichts passendes geschrieben haben – egal, Hauptsache irgendwas zitiert.

    Falsche Zitate sind also so etwas, wie mit der Wurst nach der Speckseite zu werfen. Marketing- und PR-Ausgaben, die den Vertrieb fördern, sozusagen. Ein „intellektuelles” Tauschgeschäft. Betrug an der Zitiermetrik.

  • Und was macht man, wenn das, was man publiziert, so dünn und belanglos ist, daß einen nun wirklich gar niemand zitieren will (oder kann)? Man bildet Zitierzirkel oder -kartelle. Genauso wie man Peer Review-Kartelle bildet. Es bildet sich ein fester Kreis von Leuten, die sich einfach immer wieder gegenseitig zu Scheinveranstaltungen einladen und sich immer wieder gegenseitig zitieren. Macht man das ein paar Jahre lang, hat man Ruck Zuck eine mächtig lange Publikationsliste und eine erhebliche Zahl von Zitierungen, obwohl man gar nichts geleistet hat. Weil es bei uns aber nur auf das Abzählen ankommt, ist das die Methode, wie man aufsteigt und Wissenschaftskarriere macht. So läuft das Geschäft.

Es gibt aber noch (mindestens) zwei derbe Steigerungen dessen:

Die eine ist, statt zu plagiieren fremde Personen als Coautoren zu nennen, obwohl die davon nichts wissen und damit nichts zu tun haben. Eine australische Kryptoprofessorin erzählte mir mal, daß ein Professor einer anderen Universität sie anrief und fragte, ob sie das in ihrem Paper ernst meine, das sei doch grober Unsinn. Sie wußte nicht, wovon der da redet. Es stellte sich heraus, das irgendwelche Möchtegerns irgendwelchen Mist zusammengeschrieben hatten und sie einfach als einen der Autoren nannten, um der Sache mehr Gewicht zu geben und um die Chancen zu erhöhen, daß das Paper angenommen wird. Es ist übrigens verdammt schwierig, eigentlich unmöglich, sowas wieder einzufangen. Man kriegt das nie vollständig und überzeugend dementiert, daß man damit nichts zu tun hat.

Einige der Vorwände, mit denen man mir damals die Dissertation abgelehnt hat, war, daß ich es versäumt hätte, diesen und jenen zu zitieren. Einfach deshalb, weil sie da waren, hätten sie zitiert werden müssen, hieß es. Bemerkenswert deshalb, weil alle die, die zu zitieren waren, Freunde des Instituts waren. Sachliche Gründe für ein Zitat gab es nicht, wohl aber persönliche Verpflichtungen des Institutsleiters zu gegenseitigen Zitaten. Dabei gibt es keinerlei Verpflichtung etwas zu zitieren, was man nicht verwendet hat. Im Gegenteil, ein aufgeblasenes Quellenverzeichnis, das mehr Arbeit vortäuscht als man geleistet hat, könnte man sogar selbst als Schwindel auslegen. Man hat mir aber damals vorgeworfen, daß ich Werke nicht zitiert habe, obwohl ich sie nicht verwendet habe. Und besser noch: Obwohl das, wofür ich sie zitieren sollte, darin nicht steht. Und man verlangte sogar von mir, ein Buch zitiert zu haben, das erst nach Fertigstellung der Dissertation erschienen ist (und auch nichts zur Sache tat). Es ist also nicht etwa so, daß Phantomzitate eine Schandtat des individuellen Autors sind, sondern daß sie in manchen Wissenschaftskreisen mit allem Druck verlangt werden.

Es wird gelogen, betrogen und getäuscht, daß sich die Balken biegen. Das gehört zum Wissenschaftsgeschäft. In der Wissenschaft läuft ohne Schwindel und Betrug eigentlich gar nichts mehr. Der Ehrliche rennt hinterher so wie der Ungedopte bei der Tour de France hinterherradelt.

Seltsam nur, daß sich die Sueddeutsche darüber noch wundert. Die müßten doch inzwischen wissen, wie der Hase läuft.

7 Kommentare (RSS-Feed)

Someone Else
25.11.2011 2:19
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Ein Fall für die kryptographisch signierte Publikationsliste?

(Beweist leider nicht unbedingt, dass man nichts ausgelassen hat.)


flippah
25.11.2011 8:02
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Ich kannte bisher nur die Sitte bei Juristen, eine bestimmte, nie verfasste Laudatio auf einen fiktiven Bundesrichter zu “zitieren”. Das zählt eher als running gag und wäre für mich absolut unproblematisch, denn es dient eben dazu, zu überprüfen, ob die Quellenangaben geprüft werden.

Sowas hingegen, wie es in dem Artikel aufgezeigt wird, ist in der Tat eine Sauerei.


Alex
25.11.2011 9:45
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Viel ist dem auch die ungeeignete Software geschuldet.
Würde man (nur als Beispiel) BibTeX verwenden, dann würden nur die Werke aufgenommen, die man auch benutzt hat;


Roman
25.11.2011 11:23
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@Alex: Dann koennte ich immer noch Zitate im Text anbringen, die da nichts zu suchen haben.

Denn ein Punkt kommt in der Darstellung im Artikel aus meiner Sicht nicht deutlich genug raus: Ich kann auch meine schlechte Argumentation wegzitieren, denn was geschrieben ist, gilt als wahr und braucht nicht mehr belegt zu werden.


Gerhard
25.11.2011 11:43
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Hier ein aktuelles Beispiel, das illustriert, wie schwierig es ist, eine nichtautorisierte Veröffentlichung zurückzuziehen.

Ein ehemaliger “masters student” hat ohne Wissen seines “principal investigators” ein Manuskript bei einer unbekannten Zeitschrift eingereicht. Darüber hinaus enthielt das Manuskript gefälschte Daten.

http://retractionwatch.wordpress.com/2011/10/06/transparency-in-action-as-genetics-paper-falls-to-fraud-and-lots-of-it/


tom
25.11.2011 23:02
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Also ich sehe das Problem da eher im Querzitieren: Leute lesen das Original nicht mehr sondern bedienen sich der Interpretation der Interpretation der Interpretation des Originalbefunds. Das ist dann “stille Post”. M.E. muss man da nicht immer ne Intention dahinterstellen. Oftmals haben die Leute einfach keine Ahnung wie man richtig zitiert.


John
26.11.2011 10:29
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Das gegenseitige Zitieren verhält sich doch ähnlich wie Einladungen bei einer Geburtstagsfete. Wenn man nur die Leute einladen würde die man wirklich kennt und die man mag wäre nicht viel los und die Fete ist langweilig. Also läd man noch die Leute ein die einen selber auch schon mal eingeladen haben.
Überspitzt könnte man dann noch sagen, man läd ein Paar “Promis” ein und schon redet jeder über die Fete..
Ob die Musik, das Essen oder die Getränke so besonders waren interessiert die meisten doch garnicht…