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Fakten für Fiktionen

Hadmut Danisch
12.7.2010 0:47

Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen.

Meine Eindrücke von der Journalisten-Konferenz des Netzwerk Recherche in Hamburg (und einige wissenschaftskritische Anmerkungen).

Ich war gestern und vorgestern auf einer „Konferenz von Journalisten für Journalisten” unter dem Titel „Fakten für Fiktionen – Wenn Experten die Wirklichkeit dran glauben lassen” des Netzwerk Recherche e.V., die im Norddeutschen Rundfunk in Hamburg stattfand. Obwohl ich mir nur bruchstückhaft Notizen gemacht habe, einige Eindrücke.

Hauptthema der Konferenz war die Kritik an und der Umgang der Journalisten mit Experten (und solchen, die sich als Experten ausgeben). Das war natürlich auch der Grund, warum ich dort war, da mußte ich geradezu hin. Es hat sich auch gelohnt. Schade ist, daß ich immer nur an einem Ort gleichzeitig sein konnte, denn es gab so viele so interessante Veranstaltungen, die aber in 6 Threads parallel stattfanden, weshalb man zwangsläufig viel verpaßt hat. Ich hätte mindestens dreimal an der Konferenz teilnehmen wollen (aber dazu die Zeitmaschine von Hermione Granger gebraucht, die damit gleichzeitig in verschiedenen Klassenzimmern sitzen konnte).

Es war sehr interessant, als Informatiker in einem Rudel Journalisten unterwegs zu sein. Man bekommt ein Gefühl für die unterschiedlichen Denk-, Arbeits- und Herangehensweisen, die weitaus stärker vom Beruf und den in der Berufsgruppe üblichen Sitten und Gepflogenheiten abhängen, als man so denkt. Mit dieser Eigenschaft als „Fremdsprachler” hängt auch meine Bewertung der Konferenz zusammen, die etwas paradox ausfällt. Primär war ich nicht mit allem so zufrieden, dafür aber sekundär. So manches, was ich dort gesehen habe, paßt nicht in meine Arbeitsweise, fand ich nicht so gut. Weil ich dadurch aber so manches verstanden habe, was mir bisher seltsam vorkam, bin ich da, wo ich nicht primär zufrieden bin, zumindest sekundär zufrieden.

Was mir am stärksten aufgefallen ist (und mich am meisten gestört hat), ist dieser unbändige Drang der Journalisten zu Podiumsdiskussionen. Selbst wenn man in einem kleinen Seminarraum ist, halten die meistens keinen Vortrag oder so, sondern die setzten sich mit mehreren Leuten vorne hin, einer ist der Moderator und befragt die anderen Reihum wie eben bei einer Podiumsdiskussion (mit dem Spezialfall des Interviews bei n=2, was quasi die einfachste Form der Podiumsdiskussion ist). Gruselig.

Diese Podiumsdiskussionen gehen mir sowas von auf den Wecker. Die Moderation hat auf mich wie ein Störfaktor gewirkt, die die Gäste in ein solches Korsett einband, daß die nur schwer zum Reden kommen. Mehrfach habe ich mir gedacht, schmeißt doch mal den Moderator raus und laßt die Gäste endlich mal reden und sagen, was sie sagen wollen. Ein großer Teil der Zeit wurde für das Moderieren vergeudet, das Publikum kam zu kurz. Und das erschien nicht nur mir so, man merkte förmlich, wie die Leute unzufrieden damit waren, daß sie meist – Fragen waren nur in sehr begrenztem Umfang erlaubt – in die Rolle eines Zuhörers gedrängt wurden, der etwas anderes zu hören bekommt, als er hören will. Aber sie moderieren nun mal so gerne, das Moderieren ist das ein und alles, anscheinend die Hauptsache für Journalisten. Deshalb werden wir auch im Fernsehen mit Talkshows und Talks am Nachmittag und so überschwemmt. Während für mich als Informatiker ein Gespräch zu einem Ziel führen sollte (was da oft fehlte), ist für den Journalisten das Gespräch geführt zu haben selbst das Ziel. Informatiker und Journalisten erstellen eben unterschiedliche Produkte.

Immer wieder kam es mir in diesem Sitzungen so vor, als würde man als Publikum und Zuhörer gar nicht wahrgenommen, als würden die da vorne so tun als wären sie im Radio und die Zuhörer rein passive und nichtanwesende Empfänger. Und genau so hat es sich oft auch von Redestil, Intonation, Sprechweise angehört. Die meisten der Leute dort sind ja auch Rundfunkleute, und denen ist diese Radio- und Talkshow-Sprechweise in Fleisch und Blut übergegangen. Besonders aufgefallen ist mir das in dem einstündigen – und übrigens höchst interessanten und unterhaltsamen, das war mein Highlight – Gespräch mit Tagesthemen-Moderator Ulrich Wickert aufgefallen, der über seine kuriosen Erlebnisse in Experten- und Politikerinterviews erzählte. Als der Interviewer mit Wickert dort vorne geredet hat, war das dieser perfekt eingeschliffene Dialog, diese besondere Rundfunksprechweise, diese Intonation, das es sich so anhörte, als würde man ein Radiointerview hören, obwohl die gerade 4 Meter von mir entfernt saßen. Das wirkt zwar profesionell, aber auf mich dann irgendwie auch nicht so echt und überzeugend, wenn die Leute nicht am Rundfunkempfänger, sondern direkt davor sitzen. Bei manchen der Podiumsdiskussionen hatte ich den Eindruck – auch das wohl eine Folge von Radio- und Fernsehproduktionen – daß die ein Publikum nicht brauchen und sich lieber mit sich selbst unterhalten (und bisweilen gerne sich selbst reden hören). Dabei wurden meist einige wenige Fragen aus dem Publikum zugelassen, aber auch das nur in zu geringem Umfang und festen Schienen, eben wie bei Podiumsdiskussionen. Wobei man immer wieder merkte, daß nicht nur ich, sondern auch der Rest des Publikums sich dabei unwohl fühlte.

Experten

Sehr interesant war, was ich in den verschiedenen Veranstaltungen so über die Probleme und Nöte der Journalisten im Umgang mit Experten, vor allem mit Professoren gelernt habe. Ich bin offenbar nicht der einzige, der eine schlechte Meinung von Professoren und Wissenschaftlern hat. Im Gegenteil, nach dem was ich so gehört habe, haben Wissenschafter bei Journalisten generell einen schlechten Ruf. Es gebe zu viele Experten, die man fragt, aber zu wenige Experten, die wirklich welche sind. Daß man im Fernsehen immer dieselben Experten-Gesichter sieht, liegt im Wesentlichen an der paradoxen Situation, daß Journalisten sich von Möchtegern-Experten überschwemmt fühlen, aber trotzdem unter einem Mangel an brauchbaren Experten leiden. Was ja meinem Standpunkt bezüglich der Universitäten ziemlich genau entspricht.

Immer wieder habe ich gehört, daß es aus Sicht von Journalisten zwei Arten von Experten bzw. Wissenschaftlern gibt: Es gibt die seriösen Wissenschaftler, die sich auch auskennen und ihr Fach beherrschen. Die können aber in der Regel keine drei geraden Sätze sprechen, kommen nicht auf den Punkt, reden viel zu kompliziert und verschwurbelt und verzetteln sich ausschweifend, verlieren sich in ihren Antworten. Und geben oft Antworten, die nicht zur Frage passen. Und sie sind unberechenbar. So sagen sie manchmal und überraschend direkt frei raus, wenn sie sich mit einem Thema nicht auskennen, nicht kompetent sind, nichts dazu sagen können (wissenschaftlich eben). Alle diese Eigenschaften sind für Journalisten aber fatal, da kann ein Interview – besonders live – fürchterlich schief gehen und zur Blamage werden.

Und es gibt die Experten, Professoren, Wissenschaftler, die eigentlich keine Ahnung haben, wovon sie reden, und sich hemmungslos zu jedem beliebigen Thema äußern und produzieren. Das bemerken Journalisten zwar, und finden es im Prinzip auch grottenschlecht. Aber sie bevorzugen es trotzdem, weil diese Leute meistens flüssig, einfach und fernsehtauglich sprechen, in kurzen plakativen und auf 1’30 beschränkten Statements äußern, und sich zuverlässig und berechenbar zu einfach allem äußern, egal was man sie fragt. Diese Sorte Wissenschaftler, die sich für universalkompetent hält. Das führt zu dem paradoxen Effekt daß Journalisten diese Pseudo-Wissenschaftler gleichzeitig verachten und bevorzugen, weil mit den guten Wissenschaftlern meist nichts anzufangen ist (was meines Erachtens ein miserables Licht auf deutsche Universitäten wirft).

Eine der Diskussionen drehte sich um die Schweinegrippe und deren Darstellung in der Presse. Auch da wurde erläutert, wie schwierig es für Journalisten ist, verlässliche, befähigte und unabhängige Experten zu finden. Und was dann auch meinen Standpunkt bestätigt, daß man die Qualitätsprobleme an den Universitäten nicht sich selbst überlassen kann, sondern die Öffentlichkeit richtig ernsten Schaden nimmt, weil unsere Universitäten keine befähigten Wissenschaftler (mehr) hervorbringen.

Und selbst wenn die Leute befähigt sind, dürfen sie nicht wie sie wollten, könnten und müßten. So würde es am Rober-Koch-Institut durchaus fähige Leute geben, die sich richtig gut auskennen. Das Institut untersteht aber dem Bundesgesundheitsministerium, und wer auch nur ein politisch unerwünschtes Wort sagt, wird sofort versetzt. Und zum Zeitpunkt der Schweinegrippe war die damalige Ministerin Ulla Schmidt im Wahlkampf, weshalb die Experten nicht sagen konnten, was sie wollten. So ging man mit der Schweinegrippe und der Gesundheit der Bevölkerung um. Wissenschaft unter dem mißbräuchlichen Einfluß der Politik. Kommt mir bekannt vor. Wissenschaft nach politischer Opportunität.

Die Schweinegrippe ist übrigens auch ein schönes Beispiel, wie Deutschland sich selbst im Weg steht. In anderen Ländern gab es durch die Meldepflicht für Influenza-Tote genauere Daten darüber, ob es durch die Schweinegrippe überhaupt mehr Tote gab als in anderen Jahren durch Grippe. Nur Deutschland war aufgrund des Datenschutzes und des Fehlens einer Meldepflicht völlig blind. Man weiß nicht, wie sich die Schweinegrippe und die anderen Influenza-Versionen in Deutschland auswirken, und kann deshalb nicht sagen, ob sie schlimm ist oder nicht. So wirken sich Informationsmängel unmittelbar gefährlich aus.

Sehr gut und interessant (und ohne Moderator gehalten) war der Vortrag des Wissenschaftsjournalisten Professor Holger Wormer, der auch Ratschläge gab, woran ein Journalist im Schnelltest erkennen kann, ob ein Wissenschaftler was taugt, wie Veröffentlichungen usw. Er präsentierte eine Liste mit – ich weiß nicht mehr – 10 bis 15 Kriterien. (Wobei er sich die Frage gefallen lassen müßte, wozu er das überhaupt vorträgt, denn zum Mitschreiben war es zu schnell und die Folien gibt’s nicht zum Download. Wie sollte ein Journalist seinen guten Ratenschlägen so folgen können?) Auf meinen Einwurf, daß das Anreichern dieser „Qualitätsmerkmale“ zur Täuschung des Umfeldes das kleine 1×1 des Wissenschaftsbetrugs sei, räumte er freilich ein, daß das wirklich nicht zuverlässig und ja nur ein erster Leitfaden für Journalisten sei, besser als gar nichts. Das hört sich jetzt zwar wie Kritik meinerseits an, ist aber Anerkennung, denn er hat damit ja erkannt und bestätigt, daß es viele Schwindler gibt und dieses Problem schwer lösbar ist. Lacher: Man könne als Journalist auch einfach schauen, wer an einer Fakultät einen Lehrpreis bekommen hat. Das ist dann meist der Einzige in der Fakultät, der zwei gerade Sätze sagen kann. Und auch ein Fälschungsfall (Herrmann, Brach, Mertelsmann, Oster) wurde angesprochen, muß ich mal genauer nachlesen. Mehr gibt’s unter http://www.wissenschaftsjournalismus.org/ Alles in allem aber ein sehr guter Vortrag. Wenn Ihr Wormer mal irgendwo sehen könnt, hingehen.

Richtig gut war auch der Vortrag zweier Informatiker aus dem Bereich IT-Sicherheit von Red Team Pentesting (also gewissermaßen sowas wie Berufskollegen von mir). Da war richtig gute Stimmung, die haben in lockerem und sehr gutem Vortragsstil so ein paar Punkte erläutert, wie Journalisten im Internet an Informationen kommen aber auch selbst ausgespäht werden können. Wenig Technik, Schwerpunkte Social Networks und Human Engineering. (Informationssicherheit ist immer weniger auf die Technik an sich beschränkt, das haben sie gut rübergebracht.) Und toll vorgetragen. Ich bemerke erfreut, daß es Informatiker sind, die den Journalisten einen vormachen, wie man eine peppige Veranstaltung durchführt.

Bemerkenswert war auch eine Einführung in die Online-Recherche, wie man mit Google und Co. besser nach Personen sucht usw.

Heiß wurde es dann mal in einer Diskussion mit einem Gentechnik-Wissenschaftler, der dann mal so richtig die Politik zerlegte. Da gibt es so eine politische Strömung rund um die Grünen, die es geschafft hat, den Begriff der „kritischen Wissenschaft” in der Öffentlichkeit darauf festzulegen, daß man gegen Gentechnik sei und sie quasi das Monopol für kritische Wissenschaft hätten. Dabei ist ein kritischer Wissenschaftler einer, der sich selbst überprüft und in Frage stellt, und nicht eine bestimmte Meinung. Sagt aber viel über gewisse politische Kreise (und die, die sich mit sowas einseifen lassen). Die Wissenschaftleranhörungen der Politik verliefen oft sehr unerfreulich. Da gebe es zwei Mauern auf beiden Seiten, die nicht mehr in der Lage seien, zuzuhören. Alles was man denen sagt, wird kaputtgeredet, und ihre Sichtweise ist längst zum Religionsersatz geworden. Aber auch unter den Journalisten gebe es erschreckend viele Leute, die immer nur negativ schreiben, egal was man sagt.

(Was Effekte sind, die ich auch schon oft beobachtet habe, wie z. B. gerade in der Diskussion um padeluun und die Internet-Enquete. Gerade diese religionsartige Festlegung, die Extrem-Ignoranz und dieses alles zerreden sind sehr verbreitet und inzwischen so in den Köpfen der Politiker und Sympathisanten verankert, daß man sie schon für normale Methoden der Politik hält.) Ein anderes Fazit dieser Konferenz ist damit auch, daß es ein Wechselspiel zwischen schlechten Experten und denen gibt, die nur noch schlechte Experten haben wollen. Gute Experten können nichts mehr bewirken, weil Zuhören und argumentativer Diskurs weitgehend öffentlich verlernt wurden. Damit gibt es im Prinzip dieselben Mängel, die auf Seite der Experten auftreten, auch auf der gegenüberliegenden, der Experten-Zuhörer-Seite. Der Niedergang des Expertentums schlechthin. Verdummung als Zeitgeist?

So habe man beispielsweise plakativ öffentlich angeprangert, daß nach Ausbringung von Genmais viele Honigbienenvölker gestorben seien. Womit bewiesen wäre, daß Genmais tötet (mein altes Steckenpferd von Korrelation und Kausalität wiehert gerade…). Daß aber da, wo die Bienen gestorben sind, kein Genmais ausgebracht und auch bei der Untersuchung weit und breit nirgends gefunden worden war, und daß diese Bienen an einer ganz normalen und bekannten Krankheit gestorben waren, interessierte niemanden. (Und das erinnert mich sehr an die Argumentation gegen die Vorratsdatenspeicherung. Womit ich auch nicht sagen will, daß ich für Genmais bin, im Gegenteil. Aber gegen etwas zu sein rechfertigt eben nicht jede noch so dumme Gegenargumentation.)

Ein anderes Beispiel: Ein Wissenschaftler habe herausgefunden, daß irgendwo auf der Welt (habs mir nicht im Detail notiert) hunderttausende Kinder blind werden, weil ihre Eltern so bettelarm sind, daß sie sich zum Essen immer nur Reis kaufen können. Weil in Reis ein bestimmtes Vitamin nicht enthalten ist, bekommen die Kinder Mangelerscheinungen und werden blind. Dieser Wissenschaftler behauptet nun eine Reissorte gebaut zu haben, die auch dieses Vitamin erzeugt und damit die Erblindung der Kinder verhindert. Das wäre eine Riesen-Hilfe für die Menschen dort. Hat man von vornherein als Teufelszeug abgelehnt. Hunderttausend blinde Kinder stören dagegen nicht. (Man kann durchaus gegen Genmanipulationen sein, ich bin auch skeptisch und eigentlich dagegen, aber man muß auch dann noch ordentlich argumentieren und kann es nicht zur Religion machen. Der Zweck heiligt nicht die Ignoranz.)

Generell wurde viel über Experten geredet. Das war ja das Hauptthema der Konferenz. Am beliebtesten (und verachtetsten) sind die, die zu allem und jedem was sagen. Jeder, der auch nur irgendetwas zu einem Thema sagt, gilt gleich als Experte. Und dann der Brüller:

Wenn jemand so unfähig ist, daß man ihm überhaupt kein Gebiet als Experte zurechnen kann, wenn einer einfach gar nichts taugt – dann wird er bei Journalisten „renommierter Wissenschaftler” genannt. Und da bilden sich Professoren immer so viel drauf ein, wenn sie in der Zeitung so genannt wrden. Wie oft haben mir Universitäten geschrieben, daß man bestimmte Sachen nicht untersuchen kann, weil die Leute doch renommierte Wissenschaftler seien und man das nicht beschädigen dürfe.

In einer weiteren Diskussion wurde die „parlamentarische Farce” der Expertenbefragungen im Bundestag beleuchtet (was mich sofort an die Internet-Enquete erinnerte). Fazit war, daß in Anwesenheit der Presse jeder Experte verloren hat, weil er nicht mehr dazu kommt, frei zu reden. Wenn ein Wissneschaftler etwas erreichen will, kann er das nur in Abwesenheit der Presse. Und daß das Fragerecht nach Parteiproporz jede gutachterliche Darstellung verhindert, daß die Anhörungen zur Farce degeneriert sind. Und daß der Bundestag lausig bis gar nicht bezahlt. Kein Wunder, daß die Enquete so seltsam zusammengesetzt ist.

Die Politik ist an Expertenwissen auch nicht wirklich interessiert. Immer öfter wird im politischen Gelaber das Unwort gebraucht, daß irgendwetwas „alternativlos” sei, was man von vornherein als Denkverbot ansieht. Etwas könnte die beste Alternative sein, aber alternativlos ist fast nichts.

Die Professorin Claudia Kemfert

Nicht der Grund meines Konferenzbesuches, aber ein Grund für besondere Aufmerksamkeit meinerseits war die Diskussion mit der Professorin Claudia Kemfert. Das ist die omnipräsente „Klimaforscherin”, die mit extremer Medienpräsenz agiert, aber wegen ihrer „vereinfachten” Sichtweisen in heftiger Kritik steht. Angeblich hat man schon den Begriff „kemfern” für das substanzlose in die Öffentlichkeit pushen fragwürdiger Behauptungen geprägt. Und das ist genau die, mit der ich kürzlich schon heftig aneinandergerasselt bin, nachdem ich sie hier im Blog kritisiert hatte und sie mir durch einen Anwalt eine Abmahnung schicken ließ, die sich aber nie wieder meldeten, nachdem ich kontra gegeben habe. Heiße Luft und sehr wenig dahinter.

Und da Kemfert zwar meinen Namen und mein Blog kennt, aber nicht weiß, wie ich aussehe, konnte ich mich da einfach reinsetzen. Sie hat mich für irgendeinen Journalisten gehalten, als ich sie etwas fragte.

Kemfert dachte offenbar, daß sie sich dort als die große Klimaexpertin aufspielen konnte und man – wie sonst auch – nur auf sie gewartet habe um ihr zu lauschen. Was sie nicht wußte (und nicht einmal dort gemerkt hat) war, daß sie als besonderes Negativbeispiel einer schlechten, aber in die Öffentlchkeit drängenden „Expertin” vorgeführt wurde. Die beiden Moderatoren nahmen sie räumlich wie inhaltlich von zwei Seiten in die Zange.

Dabei blieben sie aber – vielleicht war es gewollt, ich fand es schade – unter Kemferts Wahrnehmungsschwelle. Die Frau hat verdammt dicke Socken an und ist sehr von sich überzeugt. Alle im Raum merkten, daß sie vorgeführt wurde, nur sie selbst nicht. Man hat sie vorgeführt, man hat sie auch etwas in die Enge getrieben, aber man hat sie nicht konfrontiert und nicht geröstet. Sie wurde zwar immer unruhiger und rutschte immer mehr auf ihrem Stuhl hin und her, ihr wurde immer unwohler, weil das nicht so lief, wie sie sich das vorgestellt hatte. Aber daß sie sich gerade lächerlich macht und vorgeführt wird, hat sie nicht gemerkt.

Ich habe selten jemanden erlebt, der so im Gespräch und wie er sich gibt, für sich in Anspruch nimmt, ein führender Wissenschaftler zu sein und gleichzeitig auf mich einen so hoffnungslos unwissenschaftlichen, unakademischen, oberflächlich-laienhaften Eindruck gemacht hat. Das wirkte auf mich so plump, so naiv, so eingebildet. Trotzdem gab sie dort die große Wissenschaftlern.

Das ist vor allem deshalb absurd, weil sie in voller Überzeugung von sich selbst Dinge sagte, mit denen sie sich selbst in Frage stellte. Daß sie sich immer so vereinfacht ausdrückte, liege daran, daß sie wolle, daß die Wissenschaft endlich auch für die breite Masse verständlich sei. Die Fachartikel seien zu abgehoben, sie wolle das der Allgemeinheit zugänglich machen. Unglaubwürdig. Wirkte auf mich eher so als ob jemand eine Rechtfertigung dafür sucht, daß er selbst nicht besser kann als die breite Masse. Sie sagt voller Stolz, daß das DIW inzwischen schon halbjährlich wissenschaftlich überprüft wird. Es wirkt auf mich wie wenn ein Gastwirt voller Stolz sagt, daß ihn das Gesundheitsamt besonders oft überprüft. Ihr Auftreten hat mich im Gegenteil sehr an ihr kürzlich gegebenes FAZ-Interview (hier im Blog erwähnt) erinnert, in dem sie naiv erklärte, daß sie es normal fände, sich ihre Texte von Mitarbeitern schreiben zu lassen und für deren Fehler nicht verantwortlich sei. Daß die sich immer wieder blamiert und es nicht einmal selbst merkt liegt anscheinend daran, daß sie nicht weiß, was wissenschaftliches Arbeiten ist, und das, was sie tut, dafür hält.

Als man ihr kritisch vorhielt, daß sie penetrant dauerhaft in den Medien sei, viel mehr als man wissenschaftlich hervorbringen könne, begriff sie das nicht als Kritik sondern als Lob. Sie meinte im Gegenteil, sie habe in den USA studiert und wolle das alles noch veramerikanisieren und viel mehr intensivieren. Dort seien Wissenschaftler noch viel öfter in den Medien. Sie sagte sogar, daß die Verpflichtung dazu in ihrem Arbeitsvertrag stünde, sie sei verpflichtet, ständig in der Presse präsent zu sein. Und deshalb schmeißt sie sich so bereitwillig an jeden Journalisten ran. Was in meinem Augen ein ganz miserables Bild auf das DIW wirft und es als tumbe und wissenschaftslose Marketingbude dastehen läßt. Gute Güte, ist das schlecht. Und sie merkt es nicht einmal.

Kemfert hat dabei auch durchaus interessante Sachen gesagt, wiederum ohne zu merken, daß sie sich damit selbst in Frage stellt. Sie stellte sich durchgehend als Wirtschaftswissenschaftlerin da, sagte aber, daß die Wirtschaftswissenschaften gerade kollabieren und von ursprünglich mehreren Denkschulen nichts mehr als ein Brei übrigbliebe. (Auch ein anderer Wirtschaftswissenschaftler hat später in einer anderen Diskussion gesagt, daß die Wirtschaftswissenschaften eine unheimlich weiche Wissenschaft wäre, bei der man nichts so richtig nachprüfen kann.) Das heißt für mich aber, daß die Wirtschaftswissenschaften nicht die Anforderungen an eine Wissenschaft erfüllen und damit keine sind. Kein Wunder, daß jemand wie Kemfert in diesem Beliebigkeitsschleim ein Zuhause findet. Wissenschaft ist das nicht. Es ist Nährboden für Hochstapler. Sie ist führende Wissenschaftlerin in etwas, was nicht Wissenschaft ist. (Überhaupt kommen mir einige geisteswissenschaftliche Fächer als kompletter Fake vor.)

Ärgerlich war, daß man das Fragerecht sehr begrenzte. Ich wollte ihr eigentlich drei Fragen stellen und sie zunehmend angreifen. Etwa weil sie in der FAZ sagte, daß sie ihre Artikel nicht selbst schreibt. Oder sie mal fragen, wieso eigentlich jemand, der nur Volkswirtschaft studiert hat, sich als Klimaexpertin ausgibt, was ja kein Wirtschaftsthema ist, sondern Physik, Chemie, Metereologie usw. betrifft. Aus besagten Gründen wurde das aber als Podiumsdiskussion geführt und kaum Fragen zugelassen. So bin ich nur meine erste Frage losgeworden, die noch harmlos war:

Kemfert hatte den Diskurs eingefordert. Ich tat so, als wäre ich als Journalist auf ihre Webseite gekommen und hätte dort im Pressebereich nur ihre Portraitbilder gefunden, nichts Schriftliches. Ob das nicht den Verdacht aufdränge, daß sich ihr gerade eben hier eingeforderter Diskurs doch ganz auf ihre optische Selbstdarstellung reduziere, daß sie den wissenschaftlichen Diskurs durch hochauflösende Portraitfotos von sich selbst ersetzt. Das Gesicht hättet Ihr sehen sollen. Treffer unter der Wasserlinie.

Sie tat ganz überrascht und unangenehm berührt, als wäre ihr das noch gar nicht aufgefallen. Ja, da müsse sie mal mit ihrer Webseitenmasseuse sprechen, daß die das in Ordnung bringt, das wäre ein Fehler, wenn das so sei. Natürlich könne ich auf ihrer Webseite auch wissenschaftliche Papers finden. So wie bei dem Wikipedia-Abschrieb – schuld sind immer die Mitarbeiter, nie sie selbst. Dabei hat sie gelogen, denn daß da nur Bilder sind mußte sie seit Monaten wissen und konnte nicht überrascht sein, denn das hatte ich ja vor Monaten schon ihr selbst und ihrem Anwalt drastisch vorgehalten, und es stand auch in einem Zeitungsartikel, den sie juristisch angegriffen hat. Aber sie wußte ja nicht, daß ich ich bin. Ihre Selbstdarstellung scheint sich ganz bewußt nur auf ihre Selbstportraits zu beschränken, sie gibt es nur nicht zu, stellt es als bisher nicht bemerktes Versehen anderer hin. Wie doof muß man sein um sich hinzustellen und zu behaupten, daß man seine eigenen Webseiten noch nicht angesehen hat?

Dabei ist die Frau nicht komisch, sondern tragikomisch. Kemfert war auch in ihrer Abwesenheit auch Thema in zwei anderen Diskussionen. Die ist richtig berüchtigt. Journalisten erklärten aber, warum sie sie dann doch immer wieder befragen und als Expertin bringen. Richtige Experten sind zu kompliziert, die sagen, womit sie sich nicht auskennen, äußern sich zu kompliziert oder sind nicht kameratauglich. Kemfert hingegen wird als kameratauglich angesehen, äußert sich in einfachen Worten, hat es inzwischen drauf, sich zu was auch immer in den für Interviews usw. geforderten exakt anderthalb Minuten zu äußern und – das ist das wichtigste – sich Journalisten darauf verlassen können, daß die hemmungslos zu jedem beliebigen Thema was sagt, nach dem man fragt. Hat man sie als Expertin, hat man Interviews zu jedem beliebigen Thema, zumindest „zu allem, was mit W anfängt”. Die Frau kennt überhaupt keine Kompetenzgrenzen. (Was topologisch ja auch nur drin ist, wenn man entweder unendlich oder gar nicht kompetent ist.) Das heißt, daß Journalisten sie bringen, weil sie unwissenschaftlich ist, während sie selbst sich einbildet, wissenschaftlich zu sein.

Und damit ist sie letztlich doch eine richtige deutsche Professorin. Denn die Wissenschaftlichkeit der meisten Professoren beruht nur auf Einbildung, einer völlig verschobenen Wahrnehmung der Realität und der Abwesenheit von objektiven Kriterien im deutschen Hochschul(un)wesen, die ab der Berufung zum Professor jedem erlaubt ungeprüft das zu sein, wofür er sich selbst hält. Egal was.

Ein Kommentar (RSS-Feed)

moni
13.7.2010 14:13
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“Dabei ist ein kritischer Wissenschaftler einer, der sich selbst überprüft und in Frage stellt, und nicht eine bestimmte Meinung.”
Man sollte annehmen, dass das eine Grundbefindlichkeit aller Wissenschaftler, Forschenden, Experten etc. ist; denn es sind ja immer nur ein Bruchteil aller Individuen einer Disziplin die “kritischen”. Von diesem kleinen Bruchteil sind aber, nach meiner Erfarhung, die meisten eher Hardcore-Apologeten, die ansonsten nur die Funktionen haben, zu “unterscheiden”, wer ein “echter” Kritiker ist (also Apologet) und wer sowas wie “Dissident” oder ähnliches ist. Aber eine grundlegende kritische Befindlichkeit sollte eigentlich jeder haben, der in Institutionen arbeitet.

“Das heißt für mich aber, daß die Wirtschaftswissenschaften nicht die Anforderungen an eine Wissenschaft erfüllen und damit keine sind”
Es stimmt auf jeden Fall, dass, würde man das bei den Geisteswissenschaften mal richtig überprüfen (wobei es schon gemacht wurde in einigen Fällen, bsp Psychologie, aber natürlich wird das auf breiter Strecke ignoriert und weiter heile Welt gespielt), viele einfach untergehen würden. In Frankreich gibt es diese “Wissenschaften vom Geist” übrigens gar nicht, Wissenschaft ist da ausschließlich Naturwissenschaft. Geisteswissenschaft wären so etwas wie sciences de l’homme oder so in der Art, aber auch das wäre keine wirkliche Wissenschaft. Geht mal in Lesungen über Emotionspsychologie (“Es gibt 7 Emotionen”) oder Ethnologie Afirkas (Caritas verteilt Broschüren) oder – das schrecklichste von allen – Anthropologie (die berauschen sich massiv an sich selbst). Unglaublich, wie viel Kohle da ausgegeben wird, während gleichzeitig Hartz-IV-Kinder von Chipkarten und Gutscheinen leben sollen und ausserdem keiner mehr Rente bekommt… unfassbar