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Causa zu Guttenberg: Kritik an der Veröffentlichungspraxis

Hadmut Danisch
20.2.2011 11:27

Der Fall zu Guttenberg wirft die Frage auf, ob Dissertationen in Deutschland überhaupt „veröffentlicht” werden. Denn die Wissenschaft und ihre Promovierten behaupten zwar immer und gerne, daß sie „veröffentlicht” hätten, weil doch „veröffentlichten” bei Wissenschaftlern gar so wichtig ist (publish or perish), de facto aber kann man das, was da vor sich geht, nicht als „Veröffentlichung” bezeichnen.

Die Dissertation von zu Guttenberg wurde nur in einer Kleinstauflage von (angeblich) um die 400 Stück gedruckt, und kostet auch noch 88 Euro. Irgendwo stand, daß der Verlag die e-Book-Variante inzwischen gesperrt haben soll. Aus der Netzgemeinde, die gerade fleißig nach Plagiatsstellen sucht ist zu hören, daß viele doch ziemliche Probleme haben, an ein Exemplar zu kommen.

Klar, wenn man als Doktorand plagiiert oder als Universität so einen Käse mit „summa cum laude” bewertet, hat man eigentlich gar kein Interesse daran, daß das alle nachlesen können, da will man das eher unauffällig halten und nur behaupten, es wäre veröffentlicht.

Womit ich meinen Vorschlag von neulich erneuere, im Wissenschaftsbereich dieses katastrophale Verlagswesen ganz über Bord zu werfen und als „veröffentlicht” nur noch das anzuerkennen, was auf öffentlichten Server kostenlos und für alle zugänglich ist. Dann hätte sich nämlich jeder sofort und kostenlos ein Exemplar der zu-Guttenberg-Dissertation ziehen und ansehen können, und man hätte es noch nicht einmal mühsam abtippen müssen.

Im Gegenteil: Hätte man das elektronisch, könnte man das auch viel einfacher durch automatische Plagiatserkennungssoftware jagen. Und dann wäre so eine „Promotion” wohl erst gar nicht zustande gekommen.

Auf dem netbib weblog ist dazu auch ein lesenswerter Kommentar erschienen: Schlag ins Gesicht für alle ehrlichen Wissenschaftler

12 Kommentare (RSS-Feed)

The User
20.2.2011 20:43
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Machen ja auch viele Leute (wohl nicht die Mehrheit), was ich auch für sehr sinnvoll halte. Das kleine Interesse von Anderen, die sich mit der Arbeit oder der Thematik beschäftigen wollen, wird vllt. durch Uni-Bibliotheken gedeckt, kommt es jedoch einmal zu größerem Interesse wie hier, ist das Internet das Mittel der Wahl. Und natürlich ist das auch sonst sinnvoller, wenn das jeder gerade im Internet finden kann und damit etwas nachschauen kann, egal zu welchem Thema.


Lord Schadt
20.2.2011 23:17
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Die Idee ist gut.
Hinzu kommt, dass die Veröffentlichungen den Wissenschaftlern teuer zu stehen kommen, da viele Verlage mehrere Tausend Euro für die Veröffentlichung einer Dissertation verlangen.
Die typischen Verlagsarbeiten wie Lektorat werden sowieso nur noch von wenigen Wissenschaftsverlagen erledigt. Und das Know-How ein PDF bzw. ein Ebook zu erstellen, sollte jeder angehende Doktorand haben.
Es ist daher wünschenswert, dass mehr Wissenschaftler die Berliner Erklärung über offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen unterzeichnen.


Erbloggtes
21.2.2011 0:04
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Für mich ist klar: Bei Veröffentlichung 2009 hat niemand Guttenbergs Buch gelesen. Das wäre vermutlich anders gewesen, wenn es in Open Access zur Verfügung gestanden hätte. Denn: Das Vorwort des Buches, das wurde bereits von verschiedenen Leuten gelesen – als lächerlich empfunden – und besprochen, wie ich hier, Punkt 10, gezeigt habe. Das Vorwort hatte der Verlag kostenfrei online zugänglich gemacht, den Rest nur zu horrenden Preisen.

Anhand der FAZ-Rezension lässt sich zudem mutmaßen, dass der Verlag nicht bereit war, kostenlose Rezensionsexemplare an willige Rezensenten zu versenden, wie das sonst üblich ist. Warum?


Hadmut Danisch
21.2.2011 0:06
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Irgendwo hab ich gelesen, sie würden die eBook-Version (PDF) gar nicht mehr rausgeben.

Künstliche Verknappung, damit die „Schwarmintelligenz” ausgebremst wird.

Die interessante Frage ist, ob einem der Verlag verbieten könnte, eine Raubkopie ins Netz zu stellen. Denn dazu müßten sie erst einmal nachweisen, die Urheberverwertungsrechte zu haben, und die können sie an so einem Plagiat eigentlich nicht erworben haben. Insofern dürften sie das Buch nicht einmal mehr verkaufen.


O.
21.2.2011 1:51
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Hadmut, wenn ich im Reiter von liferea antworte, werde ich als Spammer detektiert. Ich kann nur via Browser was an Dich schicken.
Bitte korriegiere das mal. Leider ist auch mein getipptes dann weg
und ich muß nochmals tippen… (die Eingaben in dewr Spam-Meldung zu melden wäre wenigstens ganz praktikabel gewesen ;))

Zu Guttenberg: Alle wollen das Buch nun haben.
damit spülen wir ihm und dem verlag auch noch Geld in die Kasse…
…irgendwo wiord er da also für’s Bescheissen noch belohnt… 🙁

Das sollte wirklich kostenfrei verfügbar sein.
War das pdf kostenfrei vom verlag zu bekommen?
Oder kostete das auch Geld?

hadmut, Du meintest, die dürften das pdf eigentlich nicht mehr vertreiben?

Müssen die doch, wegen der Beweisführung.

Das zu sperren ist ja nun ganz daneben.

Zu OpenAccess: Ja, manche Unis machen das AFAIK zumindest schon mit Diplomarbeiten.

OpenAccess ist zwar ganz nett und wichtig, aber geht mir nicht weit genug.

Wichtig ist auch, in öffentlich bezahlten Forschungsarbeiten auch die Daten und Auswertescripts/-programme zur Verfügung zu stellen.

Es hat sich nämlich immer wieder gezeigt, daß schludrige Untersuchungen zu falschen ergebnissen und daher falschen Schlußfolgerungen führten. Daher müssen auch alle Originaldaten und Auswertescripte/-Programme mit bereit gestellt werden.

Sonst kann man nicht nachvollziehen, wie es zu den Ergebnissen der Studie kommt.

So kann man dann Forschungsfehler (oft statistische Auswertungen) aufdecken.

Stichwort hierfür: Open Science.

http://www.openscience.org/blog/?p=269


Hadmut Danisch
21.2.2011 2:04
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@O.: Wird nicht mehr korrigiert. Ich habe hier ein Anti-Spam-Plugin, das auf Cookies und JavaScript basiert. Da ich aber den Bau eines neuen Blogs mit eigener Software plane, will ich da keine Zeit mehr in das alte stecken.

Das Buch ist ausverkauft, nicht mehr zu haben. Und sowas nennen die „veröffentlicht”.

Ein Plagiat darf man nicht verkaufen. Die Rechte haben andere. Nur weil man plagiiert erwirbt man nicht das Recht einer eigenen Veröffentlichung, Beweisführung hin oder her. Sie müßten erst nachträglich die Quellenangaben hinzufügen, um es dann als Kurzzitat veröffentlichen zu können.


Erbloggtes
21.2.2011 4:26
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Nö, Kleinzitat gilt da auch nicht mehr. Denn das setzt voraus, dass “einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden” (§ 51, 1 UrhG), und die “Erläuterung des Inhalts” ist bei echten Plagiaten nicht mal im Ansatz zu sehen.

Ich würde den Rückzug des PDF-Vertriebs aber mal positiv interpretieren, dass der Verlag nicht mehr voll hinter seiner Veröffentlichung steht und sich auch vor Unterlassungsklagen (wegen fortgesetzter Urheberrechtsverletzung) schützen will. Vom Verlag kann man ja nicht verlangen, weiterhin Rechte Dritter zu verletzen (und das auch noch kostenlos).


Granado
21.2.2011 6:25
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fb
21.2.2011 17:02
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Ich will jetzt keine Diskussion über Zitier- und Reviewerkartelle vom Zaun brechen, aber ich halte im großen und ganzen kumulative Promotionen für keine schlechte Sache. Den Doktoranden ein oder zwei Mal durch einen doppelblinden Reviewprozess eines anerkannten Journals zu treiben ist meines Erachtens durchaus ein Mittel gegen aufgeblasenes Dummgeschwatze und lokale Gutachtergefälligkeit und zwingt dazu, einen Beitrag zur aktuellen Diskussion zu leisten.

Open Access ist zwar der Königsweg, zwingt aber nicht zu externen Reviews. Es macht es bloß im Nachhinein leichter Nachvollziehbar und damit für alle Beteiligten peinlicher, wenn man Mist schreibt.


Hadmut Danisch
21.2.2011 18:03
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@fb: Machen sie ja in einigen skandinavischenLändern so.

Ist aber ein verfassungsrechtlich heikel. Wer ist denn dann der Prüfer und wie sieht der Rechtsweg aus?

Der Staat darf in Deutschland nämlich nicht einfach mal so zum Spaß Promotionen veranstalten, sondern nur berufsbezogene Prüfungen nach Maßgabe des Art. 12 I GG, und dazu muß er selbst die Regeln festlegen. Damit passen solche kumulativen Promotionen überhaupt nicht zusammen, weil sie vom Prinzip her keine Prüfungen sind.


[…] Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU“ im Internet.[1] Eine Version mit Worterkennung soll bei Google-Docs verfügbar sein.[2] Vermutlich ist so etwas […]


quarc
24.2.2011 18:47
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Für naturwissenschaftliche Fächer oder auch die Mathematik halte
ich auch die Option einer kumulative Promotion für praxisnäher,
weil das veröffentlichen von Artikeln in diesen Fächern näher an der zu
erwartenden Tätigkeit der Nachwuchsforscher ist als das erstellen
eines mehrhundertseitigen Werkes. Für den Doktoranden hat es außerdem
den Vorteil, dass er schon vor dem Zeitpunkt der Promotion in der
Wissenschaft sichtbar ist; er kann sich also schon eine vom Doktorvater
unabhängige Reputation aufbauen.

Bei meiner alten Uni sieht die Promotionsordnung der Fakultät vor, dass
die neuen Forschungsinhalte der eingereichten Dissertation bereits
in einer Fachzeitschrift veröffentlicht sein müssen. Ich vermute, dass
mit dieser Vorschrift auch erreicht werden soll, dass Fachbereiche nicht
“im eigenen Saft schmoren” und sich Bewertung von außerhalb stellen.
Man kann und soll aber durchaus auch noch eine eigenständige Dissertation
anfertigen. Dort kann man dann die Resultate und die benötigten Grundlagen
noch einmal so aufbereiten und motivieren, dass sie auch einem weiteren
Leserkreis zugänglich sind als der oft auf Spezialisten zielende Artikel.
Letztlich wird dann diese Dissertation von den Gutachtern bewertet.
So etwas wäre auch in Deutschland möglich.